29.08.2014 Ariel Ilan Roth

Wie die Hamas gewann


Hamas Flaggen Anhänger

Israels taktischer Sieg und strategische Niederlage

Gleich wie und wann der Konflikt zwischen Hamas und Israel enden wird, zwei Dinge sind gewiss. Erstens wird Israel einen taktischen Sieg für sich beanspruchen können, zweitens wird es eine strategische Niederlage erlitten haben.

Auf der taktischen Seite sorgt der Erfolg des Iron Dome-Abwehrsystems dafür, dass sich die Zahl der israelischen Opfer bei nahezu Null bewegt und das System reduziert signifikant den materiellen Schaden, den die aus Gaza abgefeuerten Raketen verursachen. Israels Bodenoffensive, die am Donnerstag startete, wird weitere Erfolge zeigen. In der Tat hat sie das bereits: Israelische Truppen entdeckten und zerstörten diverse Tunnel der Hamas, darunter auch solche, die dazu gedacht waren, grenzüberschreitende Aktivitäten in Richtung Israel zu ermöglichen, und andere, die den Transport von Waren, Munition und Kämpfern innerhalb Gazas vereinfachten.

Derartige taktische Leistungen sollten nicht bagatellisiert werden. Jedoch stellen sie keinen strategischen Sieg dar. Krieg, wie Clausewitz es bekanntlich lehrte, ist die Weiterführung von Politik mit anderen Mitteln. Kriege werden geführt, um die Politiklandschaft auf eine Art zu verändern, die dem Sieger dient und dem Verlierer schadet. Aber die Israelis haben diese Unterscheidung aus den Augen verloren.

Tatsächlich beanspruchte Israel im Laufe seiner Geschichte immer wieder den Sieg für sich, während es in Wahrheit eine Niederlage erlitten hatte - der Krieg im Oktober 1973 ist das beste Beispiel. Israel behauptete, gewonnen zu haben, weil seine Truppen den Krieg an der Westseite des Suez-Kanals beendet hatten und ägyptische Truppen dahinter teilweise umzingelt wurden. Die Wahrheit ist, dass Ägypten strategisch siegte. Die ganze Zeit über war es die Absicht des ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat gewesen, einige Gebiete zu erobern und zu halten, um die eingefahrenen politischen Verhandlungen zu sabotieren und letztlich die besetzte Sinai-Halbinsel für Ägypten zurückzugewinnen. Sadat bekam, was er wollte.

Die Israelis mögen glauben, dass auch wenn am Ende dieses Krieges wahrscheinlich keine politische Neuordnung ansteht, so wird zumindest die Hamas ihre eigenen strategischen Ziele nicht erreichen. Das Ausbleiben einer großen Anzahl an israelischen Opfern sei ein Zeichen des Versagens der Hamas, so wird aus dieser Denkweise gefolgert. Aber auch darin irren sich die Israelis. Es wäre ein Vergnügen für die Hamas, viele Israelis zu töten, jedoch ist dies für ihre Definition eines strategischen Sieges nicht wesentlich.

Das strategische Ziel der Hamas ist es, Israels Gefühl von Normalität zu zerstören. Es ist für Israel nur möglich, als eine blühende und reiche Demokratie unter den Bedingungen der Besatzung und des anhaltenden Konflikts zu bestehen, wenn es seine Bevölkerung schafft, die Illusion aufrechtzuerhalten, dass ihr Leben mehr oder wenig dem ähnelt, was sie in London, Paris oder New York anstreben würden. Mit der Zerstörung dieser Illusion sind diverse Konsequenzen möglich, keine davon zum Vorteil Israels. Die Aussichtslosigkeit über die Möglichkeit eines Friedens könnte kleine Gruppen von israelischen Juden zu der Entscheidung bewegen, zu emigrieren. Wahrscheinlicher ist es aber, dass sich die Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit dem Palästina-Problem  vergrößern werden, wodurch Zwietracht innerhalb der israelischen Gesellschaft entsteht und somit der Kern der israelischen Narrative - basierend auf der Gerechtigkeit des Zionismus – unterminiert wird. Der Zusammenhalt rund um diese Narrative ist eine wichtige treibende Kraft dafür gewesen, Opfer zu bringen und den Gefahren, die das Leben in Israel oft bereithält, gegenüberzutreten, inklusive des langen obligatorischen Militärdienstes, der eine Tatsache im Leben der meisten israelischen Juden ist. Auch wenn diese internen Risse Israel nicht in die Knie zwingen werden, so ist doch jede Erosion der israelischen Macht - auch der Macht des Volkswillens - ein Gewinn für die Hamas.

Israel war lange darauf bedacht, die Ausweitung des Einflusses islamistischer Widerstandsgruppen zu verhindern, die sie als noch unversöhnlichere Feinde betrachten. Die erste Intifada von 1987 bis 1993 führte zur Schwächung der säkularen Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und zum Aufstieg gefährlicher und militanter Organisationen wie der Hamas und dem Palästinensischen Islamischen Dschihad. Die Bedrohung durch diese islamistischen Gruppen motivierte die israelischen Führer Yitzhak Rabin und Shimon Peres, den geschwächten PLO-Führer Yasir Arafat zu stärken und sich auf den Osloer Friedensprozess einzulassen, welcher bei erfolgreichem Abschluss das Ende für die Hamas bedeutet hätte.

In der Tat war es die Gewalt der zweiten Intifada, die zwischen 2001 und 2004 durch immer wiederkehrende Wellen von Selbstmordanschlägen in den Zentren israelischer Großstädte das Leben von nahezu 1.000 Israelis gekostet hatte und die die Zuversicht der israelischen Bürger zum Einsturz brachte und letztlich davon überzeugte, einen unilateralen Abzug der Menschen und Siedlungen aus Gaza zu unterstützen. Sie hofften, dieser Zug würde den palästinensischen Zorn besänftigen. Das tat er nicht.

Die konstanten leichten Raketenangriffe auf israelische Städte im Süden des Landes seit dem Abzug Israels aus Gaza verursachten nicht ausreichend Zerstörung im Rest Israels, um Hamas irgendwelche strategischen Vorteile zu bringen. Mit anderen Worten: Die Angriffe auf Grenzstädte durch die Hamas hielten die meisten Israelis nicht davon ab, ihren täglichen Geschäften in nahezu gänzlicher Vergessenheit der politischen und humanitären Bedingungen der Palästinenser in Gaza nachzugehen.

Die jetzige neue Runde der Gewalt verursacht aber eine enorme Zerrüttung. Raketen, abgefeuert aus Gaza, ließen Warnsirenen in Tel Aviv, Jerusalem, Haifa, Beer Sheva - in allen großen israelischen Städten - und an Ortschaften dazwischen ertönen. Diese Geschosse töteten bisher niemanden, aber sie ließen fast jeden mehrmals am Tag in einen Unterschlupf klettern und zerstörten die Illusion, dass das, was „dort“ passiert, das Leben „hier“ nicht beeinflusst.

Das wäre genug für die Hamas, um den Sieg zu erklären. Aber die Gruppe erreichte noch weitere strategische Vorteile. Erstens ließ die ungleiche Zahl an Opfern in Israel und Gaza, zumindest in den Augen vieler Menschen im Westen, Israel als den Aggressor erscheinen, auch wenn die Hamas dieses Mal zuerst geschossen hatte. Zweitens machte der Iron Dome die Berichterstattung innerhalb Israels für ausländische Journalisten langweilig: „Eine Rakete geht hoch, wird abgefangen, das Leben geht weiter“ ist keine aufregende Story. Israels Gegenschläge, die Gazas unverstärkte Gebäude dem Erdboden gleichmachten und geschundene Leichen hinterlassen, sorgen für mehr Auflagen. Und deshalb richtet sich der Fokus der Welt auf Gaza. Israels Freunde mögen das als unfair bezeichnen: Israel werde dafür bestraft, seine Bürger erfolgreich zu verteidigen, während die Hamas die eigenen ungeschützt lässt. Aber diese Sicht geht an der Sache vorbei. Krieg ist keine Übung in Fairness, sondern die Verwirklichung strategischer Ziele.

Und in diesem Punkt hat die Hamas bereits gewonnen. Sie zerschmetterte die für die Israelis notwendige Illusion, dass ein politischer Stillstand mit den Palästinensern für Israel mit keinen Kosten verbunden ist. Sie zeigte, dass selbst wenn die Palästinenser sie nicht töten können, so können sie aber einen hohen psychologischen Wert extrahieren. Sie verstärkte außerdem das Profil der Palästinensischen Sache und die Wahrnehmung, dass die Palästinenser schwache Opfer sind, die einem mächtigen Aggressor gegenüberstehen. In der Zukunft wird dieses Gefühl sicherlich in mehr Druck auf Israel umgesetzt werden, vermutlich durch Politiker, sicherlich aber durch soziale Bewegungen, deren Absicht es ist, Israel politisch zu isolieren und durch wirtschaftliche Boykotts zu schädigen.

Es wird auch immer noch die geben, die fantasieren, dass diese Niederlage von demselben Lichtstreifen wie das Versagen Israels im Jahre 1973 begleitet wird: Obwohl Sadats Angriffe auf die Israelis im Sinai das Gefühl der Unbesiegbarkeit erschütterte, das die Israelis seit dem Ende des Krieges von 1967 entwickelt hatten, mündete der Krieg zumindest im  Camp-David-Abkommen und einen dauerhaften - wenn auch kalten - Frieden, der Israels regionale Sicherheit seit den späten 1970ern gewährleistete. Vielleicht wird der strategische Sieg der Hamas in diesem Konflikt Israel ähnliche Gewinne am Ende einbringen. Jedoch erscheint solch ein Ausgang ziemlich unwahrscheinlich. Sadat hatte konkrete Ziele, namentlich die Wiedereröffnung des Suez-Kanals und die Rückgabe der Sinai-Halbinsel an Ägypten - Ziele, die vereinbar waren mit Israels eigenen Bedürfnissen. Die Hamas auf der anderen Seite fordert die Auslöschung Israels, ein Ziel, das geringen Raum für Verhandlungen lässt.

Am Ende wird diese Runde, wie bereits die vorherige große Kampfrunde von 2008, an die Palästinenser gehen. Die Konzentration auf taktische Erfolge sollte Israel nicht blind machen für die Gefahren, die ihm durch diese wiederholten strategischen Niederlagen drohen. Es gibt nicht viel, was Israel tun kann, um das Verhalten der Hamas zu verändern. Was es jedoch tun muss, um zu verhindern, dass die Hamas aus ihrem strategischen Erfolg Kapital schlägt, ist es, die heutigen Israelis an etwas zu erinnern, was ihre früheren Führer alle sehr genau wussten. Das ist es, was Moshe Dayan, ein Stabchef der israelischen Armee und späterer Verteidigungsminister, sagte: „Wir wissen, dass es unsere Pflicht ist – Tag und Nacht – bewaffnet und bereit zu sein, damit ihre [die arabische] Hoffnung, uns auszulöschen, verklingt.“ Die Herausforderung für Israel ist es, diesen Status der Bereitschaft aufrechtzuerhalten, während es gleichzeitig die humanen und angemessenen Entscheidungen trifft, die seine Sicherheit sicherstellen, Israels Attraktivität als strategischer und wirtschaftlicher Partner für westliche Nationen steigern und den inneren sozialen Zusammenhalt über lange Sicht erhalten. Die Erreichung dieses „Hattricks“ mag vielleicht unmöglich erscheinen, die ersten 19 Jahre der Existenz der Nation Israel legen jedoch anderes nahe.


Ariel Ilan Roth ist Direktor des "Israel Institute" in Washington DC.

Erstmals veröffentlicht am 20. Juli 2014 bei Foreign Affairs. Übersetzt von Lena Späth.


siglinde29-08-14

Es gibt noch eine Möglichkeit Israel in seinen Grundfesten zu erschüttern, ganz ohne Gewalt, ohne Blutvergießen, einfach nur mit der unliebsamen und unterdrückten Wahrheit seiner Entstehungsgeschichte.

Aber anscheinend und bedauerlicher Weise hat die islamische Welt diese noch nicht erkannt, obgleich es aus dem Iran gute Ansätze gab, die aber nicht weiter geführt wurden.

rehenbürge31-08-14

dieser beitrag zeigt sehr deutlich, wie realitätsentfernt ein gehirn denken kann. er schreibt dummes zeug über taktische/strategische siege.. er hat seine familie nicht in gaza sondern hier in deutschland und lebt vom gebet bei imam ali und dem essen moavia - er weiß, was ich meine !!
die palästinenser wären besser dran, wenn sie ohne gewaltanwendung ihre ziele realisierten.. die israelis sind militärisch unbezwingbar und moralisch sehr ungerecht !!

@rehenbürge01-09-14

Der Autor ist Jude und Direktor des "Israel Institute" in Washington DC.

siglinde02-09-14

Nungut, es ist schon sehr problematisch das verheerende Ungleichgewicht in dem Gazakrieg und die daraus resultierenden Opfer dem Gegner zuzuschieben unter dem Motto, dass habe er ja so gewollt und das ist seine Strategie. Auf diese Weise kann man den Israelis auch die Schuld an dem Genozid nehmen. Auf der anderen Seite könnte es wirklich sein, dass dieses angebliche taktische Ziel Wirkung zeigt und in den Augen der westlichen Öffentlichkeit Israel endlich zu dem wird, was es ist: ein Täterstaat.

Aber mittlerweile glaube ich, dass die Israelis den ganzen Gazastreifen platt machen könnten, es würde sich nichts in den Köpfen in der westlichen Welt verändern, denn es wir hier so verstanden, dass kein Volk mehr gelitten hat und mehr Ungerechtigkeit erleben musste, als das Jüdische und sie deswegen alle Rechte der Welt hätten.

Middle East03-09-14

Vollste Zustimmung, Siglinde!

Eine Neuauflage dieser Konferenz würde Israel um einiges härter treffen, als wie 100 abgefeuerte Qassam-Raketen.

Aber solange der Großteil der palästinensischen Führer korrupt und bestechlich sind, wird sich an der Situation in Gaza sowie so nichts ändern. Die Hamas ist ja schon so weit verkommen, dass sie lieber ihre Kämpfer nach Syrien, Seite an Seite mit Terroristen der al-Nusra Front, gegen Assad in den Krieg schickt, anstatt die eigenen Probleme im Land zu beseitigen!

rehenbürge03-09-14

sorry für den fehler,
aber es ändert nichts, viele iraner in der regierung denken so...

@siglinde11-09-14

es gibt tatsächlich nichts schlimmeres für Israel, als sich mit der wirklichen Entstehungsgeschichte auseinanderzusetzen. Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen.

Julia13-09-14

Ich kann nicht zustimmen, wenn es darum geht, dass Hamas gewann. Die Hamas mögen radikal sein, aber haben sie wirklich Interesse daran, dass möglichst viele Palästinenser sterben, damit Israel auf der internationalen Bühne zunehmend diskreditiert wird bzw. seinem Ruf schadet?

Daniel13-09-14

Dr. Norman Finkelstein zufolge ist das Iron-Dome-System sehr stark überbewertet. Gleichzeitig beklagt die Hamas, dass sie - im Gegensatz zu Israel - keine hoch entwickelten Präzisionsraketen haben und somit das Potenzial des Vorkommens von Kollateralschaden viel höher ist.

Bene13-09-14

@Daniel

Israel kann so viele Präzisionswaffen haben wie es will. Es bringt nichts, wenn Hamas Menschen als Schutzschilder benutzt! Das ist nur krank!

Daniel13-09-14

@Bene

1. Wenn Sie das so krank finden, warum verurteilen Sie nicht, dass in Israel die Benutzung von Palästinensern als Human Shields 2009 sogar ein offizielles Gesetz waren?

2. Selbst die unabhängige Organisation "Gaza Youth Breaks Out" aus Gaza, die Sie auf Facebook finden werden, hat gesagt, dass das ganze sehr falsch dargestellt wird, und GYBO mögen Hamas ganz und gar nicht.

3. Einige Videos lassen aber nahe liegen, dass Hamas tatsächlich die "Human-Shield-Strategie" benutzt hat. Es würde mich nicht wundern, wenn einige Individuen sich bei einer israelischen Offensive schnell einmal irgendwo unter der Zivilbevölkerung verstecken würden, aber vergessen sie nicht, dass Gaza eines der größten Bevölkerungsdichten der Welt hat und glauben Sie wirklich, dass die ca. 2000 Opfer alles Human Shields waren? Warum hört man dann keine Verurteilung der Palästinenser gegen Hamas?

4. Nicht nur in Gaza wurden Schulen, Gebetsstätten und Krankenhäuser bombardiert, das war auch bereits im Libanon der Fall. Wollen Sie mir jetzt sagen, dass die Hizbollah auch all die Opfer als Human Shields benutzt hat?

Tim13-09-14

Taktisch verbinde ich eher mit kurzfristig und strategisch mit langfristig. Wird die Hamas langfristig gesehen gewinnen?





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