Warum die Atomenergie in Iran von Nutzen sein kann


Anteile einzelner Energieträger an der Primärenergieversorgung der Islamischen Republik Iran

Der iranische Energiemix 2011: Energie wird in der Islamischen Republik fast ausschließlich aus Gas und Öl gewonnen. (Irananders nach EIA, 2013)

Es gibt viele Gründe, die gegen die Atomkraft zur energetischen Nutzung sprechen. Allen voran zu nennen sind die zwei Reaktorunfälle mit katastrophalen Ausmaßen in Tschernobyl und Fukushima. Hinzu kommt die aufgeschobene, aber nicht aufgehobene Frage nach der Endlagerung des Atommülls. Solche Gründe gelten auch für die Islamische Republik Iran, zumal das Land zwischen Persischem Golf und Kaspischem Meer im Grenzgebiet mehrerer tektonischer Platten liegt und damit überdurchschnittlich oft von Erdbeben heimgesucht wird.
 
Fast wundert es, dass der Westen nicht versucht, solche Argumente Teheran als gut gemeinte Ratschläge zu verkaufen. Aber ein Blick auf die nordamerikanische Lithosphäre verrät: Wer selbst an der Grenze mehrerer tektonischer Platten sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen – und wenn doch, erst seine eigenen Atomkraftwerke abschalten.

Die gegen das iranische Atomprogramm erhobenen Vorwürfe sind freilich politischer Natur. Oft wiederholt wird dabei der Folgende: Als einer der Supermächte der fossilen Energieträger Öl und Gas brauche Iran keine Atomenergie. Fünf Gründe sollen im Folgenden genannt werden, warum die Atomenergie - solchen politisch motivierten Argumenten zum Trotz - auch unter politischen und energiewirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll für die Islamische Republik Iran sein kann:

- Allgemein gilt Versorgungssicherheit als eine der zentralen Herausforderungen der Energiepolitik. Das gilt vor allem für die Islamische Republik, die nach wie vor die im Land verbrauchte Energie stark subventioniert (und indirekt damit auch die Energieineffizienz im Land fördert). Trotz der massiven Verfügbarkeit der fossilen Energieträger Öl und Gas traten zu Spitzenlastzeiten - aufgrund eines gestiegenen Energiebedarfs in den letzten Jahren - wiederholt Lieferengpässe auf. Eine Ausweitung des iranischen Energiemixes durch Atomkraftwerke hilft dabei, diese Engpässe nicht nur quantitativ durch die erhöhte Kapazität im Kraftwerkepark zu vermeiden, sondern die Versorgungssicherheit auch dadurch zu steigern, dass das bisherige Energieportfolio durch ein weiteres Element diversifiziert wird. Dass dieses ein energiepolitisches Ziel der Islamischen Republik ist, kann man auch an ihre Investitionen in erneuerbare Energien sehen, die paradoxerweise aber von Sanktionen blockiert werden. Der Eindruck jedenfalls, Iran würde nur in der Atomenergie investieren, um einen gesunden Energiemix zu erlangen, ist trügerisch.

- Durch die Nutzung nicht-fossiler Energiequellen für den Eigenverbrauch werden Ressourcen für den Export freigesetzt. Über 1,5  Millionen Barrel täglich wurden in den letzten Jahren innerhalb Irans allein an Erdöl konsumiert, größtenteils zur Energieerzeugung. Rein rechnerisch waren das am aktuellen Ölpreis gemessen rund 150 Millionen US-Dollar täglich. Diese Argumente wiegen umso mehr, wenn man bedenkt, dass die Preise für Erdöl und Erdgas sich in den letzten fünfzehn Jahren in etwa verdreifacht haben (mit stärkeren regionalen Unterschieden bei Erdgas). Mit der Lockerung der Sanktionen und einer damit einhergehenden Steigerung der Exporte kann die Islamische Republik mit deutlich mehr Devisen aus dieser Richtung rechnen. Iran besitzt die zweitgrößten Erdgasreserven der Welt und wenn allein der Eigenverbrauch an Erdöl um die Hälfte reduziert werden würde, könnte das Land gemäß akuellem Kurs jährlich mehr als 25 Milliarden US-Dollar Devisen einnehmen.

Erdölverbrauch und -export in Iran, 1980 bis 2012 (EIA nach U.S. energy information administration, 2013)

- Deutschland schafft die Atomenergie ab, der weltweite Trend geht aber in eine andere Richtung, sei es in unserer direkten Nachbarschaft oder in Übersee. Unser Land bildet sogar in der Europäischen Union eine Ausnahme. Laut Referenzszenario 2013 der EU-Kommission sollen in Zukunft europaweit noch 69 Atomkraftwerke mit einer Leistung von insgesamt rund 104 Gigawatt gebaut werden. Damit sollen die europäischen Klimaschutzziele, die unter anderem einen deutlich niedrigeren CO2-Ausstoß vorsehen, erreicht werden. Und so verkündete auch die Regierung Großbritanniens im Oktober letzten Jahres, dass sie einen Vertrag zum Bau eines Atomreaktors unterschrieben habe, inklusive staatlicher Förderungen bei Bau und Stromabnahme. Vertragspartner ist dabei der französische EDF-Konzern. Das Heimatland von EDF ist derweil weltweiter Vorreiter in der Atomkraft. Für die Grande Nation ist Atomkraft nach wie vor die größte Energiequelle. Rund drei viertel der französischen Stromproduktion werden aus Atomenergie gewonnen. Selbst in Japan scheint die politische Halbwertszeit nach der Nuklearkatastrophe in der Präfektur Fukushima abgelaufen. So will die Regierung in Tokio die Genehmigung für den Bau von drei neuen Atomreaktoren geben. Das Land knickt damit im Wesentlichen vor den steigenden Energiekosten durch Gas-, Öl- und Kohleimporte ein.

Iran folgt diesem Trend der energetischen Nutzung der Atomtechnologie. Das Land hält die Atomkraft – im Gegensatz zu Deutschland – für eine Zukunftstechnologie, die es zu erforschen und zu nutzen gilt.
 

Stand der wirtschaftlichen Kernenergienutzung weltweit (commons.wikimedia.org, 2013)

- Bei quasi allen internationalen Verhandlungen im Streit um das iranische Atomprogramm hat Teheran betont, dass es höher angereichertes Uran in der Nuklearmedizin - unter anderem zur Krebsbekämpfung - benötige. Zentral dabei ist der medizinische Forschungsreaktor in Teheran oder der künftige Schwerwasserreaktor in Arak. Auch bestehen zu anderen Anwendungen der Atomforschung Synergieeffekte, die an das iranische Atomprogramm gekoppelt sind. Atomtechnologie wird in der Radiochemie, den Materialwissenschaften oder – für das geschichtsträchtige Iran besonders relevant – selbst für die Archäologie bei der Radiokohlenstoffdatierung genutzt.

- Eines der wichtigsten Argumente für die Wirtschaftlichkeit des iranischen Atomprogramms ist aus heutiger Perspektive schlicht und einfach die Pfadabhängigkeit, also vereinfacht gesagt, die bereits getätigten Investitionen. Die iranische Atompolitik würde zu einem Milliardengrab, wenn sie heute aufgegeben würde. Keine nach ökonomischen Prinzipien handelnde Regierung würde die bis dato getätigten iranischen Investitionen entlang des gesamten atomaren Brennstoffkreislaufs einfach über den Haufen werfen. Das Prinzip dahinter lässt sich auch folgendermaßen beschreiben: Je mehr Zeit und Geld das iranische Atomprogramm kostet, desto sinnvoller wird der Weiterbetrieb dieser Industrie. Schließlich ist auch der Atomstrom langfristig günstiger als andere Energieerzeugungen.

Andererseits haben natürlich die Sanktionen die Atomenergie in Iran überproportinal verteuert. Jedoch wurden die Sanktionen innerhalb der politischen Elite als gegen das System „Islamische Republik“ und nicht gegen das iranische Atomprogramm verstanden. Diese Wahrnehmung wurde im Laufe der letzten Jahre von verschiedenen führenden US-Politikern – darunter Vize-Präsident Joe Biden - bestärkt, als im Zusammenhang mit den Sanktionen wiederholt die Rede von „Regime Change“ war. Entsprechend sind viele iranische Entscheidungsträger bis heute davon überzeugt, dass selbst wenn sie in der Atomfrage einknicken würden, andere Vorwände für die Sanktionierung des Landes herangezogen würden, so etwa die Unterstützung von Organisationen wie der Hisbollah im Libanon oder was die Frage der Menschenrechte angeht. Daher sind die wirtschaftlichen Schäden aufgrund der Sanktionen nicht als Kosten und Investitionen für das Atomprogramm zu sehen, sondern für die Unabhängigkeit des Landes, die in Iran – mitunter aus historischen Gründen - ein hohes Gut ist.

Abschließend sei gesagt, dass vor dem Hintergrund, dass die Atomtechnologie in Iran als Zukunftstechnologie verstanden wird, die von anderen Nationen ohne internationalem Druck und unternationalen Hürden erlangte wurde, die Sanktionen von einem Großteil der iranischen Bevölkerung auch als Versuch gedeutet werden, die Iraner von wichtigen zivilisatorischen Errungenschaften auszuschließen, was einer Behandlung als Weltbürger zweiter Klasse gleichkommt.

Letztlich hat daher der westliche Druck dazu geführt, dass die Energiedebatte in Iran weniger unter ökonomischen und ökologischen Gesichtpunkte geführt worden ist, sondern eher unter dem Paradigma des Kampfs gegen Bevormundung und Benachteiligung.

Insofern kann der neue Entspannungskurs des Westens dazu führen, dass in der Islamische Republik Iran eine echte Energiedebatte entstehen kann - vielleicht mit Ergebnissen, die sich gegen den Atomstrom richten. Der Weg bis dahin war aber bereits in der Bundesrepublik Deutschland, als Führungsreiter für alternative Energien, ein mühseliger gewesen - und das ganz ohne religiöse oder patriotische Trotzreaktionen aufgrund ausländischer Bevormundungen.


Le Mec19-02-14

Bundestagsabgeordneter Jan van Aken machte hier in einem Interview mal von der Solarenergie in Iran reden, da die Islamische Republik ja bekanntermaßen im Sonnengürtel liegt. Wenn eine vernünftige Debatte in Iran entstehen könnte, wie dieser Artikel hier vorschlägt, könnte sich das Land tatsächlich zu einem Erneuerbaren Energien Paradis entwickeln.

Alternative22-09-14

Da sage doch jemand, dass der Iran nicht auch in erneuerbaren Energien investieren würde, um einen gesunden Energiemix zu bekommen: http://www.dw.de/iran-r%C3%BCstet-auf-mit-solaranlagen/av-17921940





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