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16.09.2011 Elias Vahedi

Die Handlungslogik der Türkei und ihr Kalkül in Syrien und Libyen


Der türkischet Ministerpräsident Recep Erdoğan und der syrische Präsident Bashar al-Assad

Fällt Syrien tiefer in den iranischen Schoß? Die Männerfreundschaft zwischen dem türkischen Ministerpräsident Recep Erdoğan (l.) und dem syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad (r.) ist vorläufig zu Ende.

Eine neue Blickrichtung gen Osten und eine verstärkte Aufmerksamkeit für einst vergessene Probleme der Region – beides Zeichen des außenpolitischen Strategiewechsels – haben sich in den Beziehungen der Türkei mit anderen Staaten der Region ausgezahlt. Der Ausbruch der Aufstände in den arabischen Ländern und die aktive Rolle der Türkei in Tunesien, im Jemen und in Ägypten haben den regionalen Status der Türkei weiter gestärkt und das Land zu einem möglichen Vorbild für die zukünftigen politischen Systeme dieser Länder gemacht.

Ankaras Positionen gegenüber Syrien und Libyen haben jedoch Zweifel über die positive Rolle des Landes geweckt. Einerseits sehen sich die Politiker der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP, Partei Recep Erdoğans) einer reform- und protestorientierten Strömung in den arabischen Ländern gegenüber. Andererseits destabilisieren die Aufstände jetzt auch Syrien und Libyen, beides Länder, zu denen die Türkei eher freundliche Beziehungen gepflegt hatte. Einst hatte Erdoğan - im Einklang mit seiner neuen Politik der verbesserten Nachbarschaftsbeziehungen in der Region - auch versucht, seine Beziehungen zu diesen Ländern zu konsolidieren.

Syrien: Die Türkei zwischen den Stühlen

Angesichts der politischen Protesten in Syrien hatte die Türkei zuerst verlauten lassen, dass es sich um eine innere Angelegenheit des syrischen Regimes handele, welches über ausreichenden Rückhalt in der Bevölkerung verfüge. Als die Unruhen in Syrien eskalierten und die syrische Regierung daraufhin nicht mehr nur unter die Kritik internationaler Organisationen geriet, sondern auch von türkischen Zivilorganisationen getadelt wurde, schlug Ankara einen kritischeren Ton gegenüber Syrien an. Bestimmten politischen Kreisen in der Türkei war das nicht genug, während gleichzeitig die beispielhaften Beziehungen, die zwischen Ankara und Damaskus geherrscht hatten, beschädigt wurden. Die Regierung der Türkei versuchte anfangs ihren Kollegen in Syrien mit der Haltung eines mächtigen Nachbarn zu beraten. Allerdings waren sich die türkischen Politiker offensichtlich nicht der Machtstrukturen bewusst, die im südlichen Nachbarland herrschen.

Obwohl Syrien nicht scharf auf die Türkei reagierte und Bashar al-Assad seinen politischen Höfflichkeit bewahrte, beschwerte sich Syrien auf anderen Wegen über die Maßnahmen, die sein Nachbar vollzog. Ein großer Teil dieser Beschwerden wurde an iranische Offizielle weitergeleitet und verschlechterten Irans Beziehungen zur Türkei relativ. Die wesentlichen Resultate der türkischen Haltung sind zehntausende geflüchtete syrische Staatsbürger auf türkischem Boden und der verärgerte Reaktion der syrischen Regierung. Natürlich gehen einige Analysten davon aus, dass die aktuelle türkische Politik langfristig dennoch ihre Früchte tragen wird.

Ein Meilenstein des türkischen Ansatzes gegenüber Syrien ist die Priorität, die den humanitären vor den politischen Überlegungen gegeben wurde. Die führenden Kräfte in der Türkei sind sich sehr wohl bewusst, dass die syrische Opposition nicht in der Lage ist, die Regierung zu stürzen und ein neues politisches System zu etablieren. Demnach kann die Türkei keine großen Veränderungen in der politischen Zukunft Syriens erreichen, zumindest nicht kurz- oder mittelfristig. Die Türkei reagiert mit ihrer Haltung lediglich auf die Erwartungen von innen und außen, die die Regierung dazu drängen, Menschenrechte, Demokratie und Freiheitsbewegungen zu unterstützen. Mit der Räson, dass eine unverblümte Haltung und scharfe Bemerkungen gegenüber Syrien negative Konsequenzen mit sich ziehen würden, sehen die türkischen Offiziellen daher zukünftigen Entwicklungen entgegen. Man glaubt, dass es die beste Option für Bashar al-Assad sei, den Forderungen der Opposition nach Reformen nachzugeben, weil eine schnellere Einigung zwischen den Gruppen im Konflikt um Syrien den türkischen Beziehungen mit allen Seiten weniger schaden würde.

Einige politischen Berater vertreten die Meinung, dass das Verhalten der Türkei bestätigen würde, dass Ankara im Voraus keine klare Strategie zum Umgang mit der Situation entwickelt habe. Im Gegensatz zur Türkei ist die Haltung Irans absolut transparent und das Land ist bereit, den Preis für seinen Standpunkt zu zahlen. Andere Analysten behaupten, dass das türkische Schweigen zum Massaker der Armee an der syrischen Bevölkerung (deren Opfer zahlenmäßig die in Gaza nach dem israelischen Überfall, den die Türkei heftig kritisiert hatte, übertrifft),das türkischen Ansehen in der Region beschädigt und getrübt habe. Ein Ergebnis davon ist, dass weder die syrische Regierung noch die Opposition mit dem türkischen Standpunkt zufrieden ist. Die Türkei scheint jetzt aber natürlicherweise mit ihrer aktuellen Politik fortsetzen zu müssen, will sie doch ihre Rolle und ihr Auftreten auf dem internationalen Parkett neu definieren.

Die Türkei und Libyen – Eigenwilliger aber erfolgreicher als in Syrien

Obwohl der türkische Ansatz gegenüber der libyschen Regierung sehr eigensinnig war, hat sich die Außenpolitik hier erfolgreicher als in Syrien gezeigt. Der Einsatz türkischer Kräfte innerhalb des NATO-Rahmens in Libyen stand im Widerspruch zur anfänglichen Gegnerschaft zur Truppenentsendung seitens einiger türkischer Politiker. Später jedoch stimmten sie der Entsendung unter der Voraussetzung zu, dass keine Zivilisten zu Schaden kämen und die ausländischen Truppen Libyen unmittelbar nach dem Fall der libyschen Regierung verließen.

In der damaligen Phase war die Türkei das einzige Land, das mit beiden Seiten des libyschen Konflikts Verhandlungen führte. Einige Analysten meinten, dass die Türkei und Frankreich (der eifrigste Mitstreiter in Libyen) je einen Plus- und einen Minuspol der Einmischung der NATO in Libyen darstellen. Die türkische Sicht unterscheidet sich von anderen NATO-Mitgliedern in dem Punkt, dass Ankara bemüht ist, die menschlichen Verluste in Libyen auf ein Minimum zu reduzieren und darauf beharrt, dass das Land an sein Volk übergeben wird, statt es wie Afghanistan oder Irak zu besetzten. Manche westliche Länder dagegen ziehen für Libyen das gleiche Schicksal wie das von Afghanistan oder des Irak in Erwägung. Natürlich sind Teile der türkischen Gesellschaft (und im Allgemeinen auch der islamischen Welt) darüber verärgert, dass die Türkei die NATO beim Angriff auf Libyen begleitet hat.

Fazit

Von den Unterschieden in den Details abgesehen, basiert die türkische Politik in Libyen und Syrien auf einer relativen Unparteilichkeit, die mit der Doktrin der strategischen Tiefe des türkischen Außenministers Ahmet Davutoğlu im Einklang steht. Die Doktrin beruht auf der Etablierung guter Verbindungen (nicht nur durch offizielle diplomatische Beziehungen) zu allen mächtigen Akteuren in allen Staaten. Das ist freilich ein konservativer Ansatz, der es der Türkei in jedem denkbaren Szenario ermöglicht, ihre Interessen durchzusetzen, auch wenn einige Verluste einkalkuliert werden müssen.


Elias Vahedi ist Türkei-Experte in Iran

® Iran Review von Öffnet externen Link in neuem Fenster22. Juli 2011; übersetzt von Leo Schmitt


Meryem17-09-11

Warum die Flüchtlinge auf türkischem Boden ein Resultat der türkischen Haltung sein sollen, erschließt sich mir nicht. Ich würde mal sagen, sie sind ein Resultat der offenen Grenze zur Türkei, die es bis vor kurzem noch gegeben hat.
Dass die Syrer nicht auf die Belehrungen ihres Nachbarn eingegangen sind ist schade, auch wenn der Tonfall eben gerne mal belehrend ist. Es hätte bestimmt zur Deeskalation beigetragen, wenn man auf die TR gehört hätte. Ich gehöre zu denen, die den Einsatz in Libyen absolut ablehnen, auch wenn die türkischen Kräfte vielleicht nicht so sehr an den zivilen Opfern beteiligt sind, war es auf jeden Fall ein Fehler, Leute zu unterstützen von denen man nicht wusste, was sie wollen und die sich nicht gerade durch Menschenfreundlichkeit hervorgetan haben. Die Türkei sollte es nicht nötig haben, sich am Krieg ums Öl zu beteiligen. Insgesamt ist sie aber eher mäßigend, das ist gut so.

Homayoun H.19-09-11

Erdogan ist zwar einer der intelligentesten Präsidenten die es Heute gibt, aber er ist für mich zumindest moralisch völlig unglaubwürdig, zumindest was die Palästinenser betrifft. Erst macht man dicke Geschäfte mit Israel (auch millitärisch), und dann rastet man total aus, sobald es um die eigenen Bürger auf der Flotilla geht, und spricht über die Verbrechen von Israel an Palis. Wenn es tatsächlich um die Palis ging, dann macht man aber auch schon vorher keine Geschäfte mit Israel. Türkei will hier einfach nur die Emotionen des Arab Streets (und natürlich die eigene Bevölkerung) für sich gewinnen. Sonst nichts.

Da ist Ahmadinejad wenigstens konsequent und glaubwürdig.

Humanist20-09-11

Während die Türkei weltweit seine Reputation verbessert hat und die Wirtschaft zweistellig wächst versinkt der Iran im Weiter im Loch des Islamismus. Viele Iraner fühlen sich den Türken von naturaus überlegen und koketieren mit deren geistiger Schwäche. Allein die Realität zeigt, dass die Türken im Aufwind sind und immer mehr auch aus der Schwäche der Islamisten im Iran Profit ziehen.
Die Mullahs haben 32 Jahre iranisches Geld für den Export Ihrer tyrannischen Ideologie ausgegeben. Nicht nur das Ihnen nicht gelungen ist Ihre Totgeburt, die islamistische Ideologie, zu verbreiten, Sie haben dabei auch dem Iran große zum Teil irreparabele Schäden zugeführt.
Der Aufstieg der Türken resultiert zum Teil aus der Schwäche des Irans.

@Humanist20-09-11

Sie sollten Ihre Hausaufgaben gründlicher machen. Erdogan ist derjenige, der aufgrund seiner Teilnahme an einer Quds-Demo (von R. Khomeini ins Leben gerufen), verhaftet worden ist. Eine Stärkung der Türkei unter der AKP ist eine Stärkung der Islamischen Republik Iran.

Humanist20-09-11

Sie betrügen sich mit Ihrer Pseudologik selber. Die Türkei sowie die AKP verfolgen eine Politik, die diametral der Politik der Mullahs im Iran entgegen steht. Sie verfolgen eine säkulare Politik. Der Laizismus ist in der Verfassung verankert und die AKP agiert nicht so, als wollte Sie grundlegendes ändern.
Die Türkei ist inder Tat in den letzen Jahren auch unter der AKP immer stärker geworden, während Iran nicht nur eine massive Krise der Legimität im Inland hat, sondern auch international isoliert darsteht. Ein Indikator für die zunehmende Stärke der Türkei ist seine boomende Wirtschaft. Das Bild der iranischen Wirtschaft allerdings stimmt traurig und ist derart im Niedergang, dass Antarinejad der Zentralbank und anderen Institutionen verboten hat wirtschftliche Daten zu publizieren. Wer hat also seine Hausaufgaben nicht gemacht?

Le Mec20-09-11

Danke für den Link. Ständiges Wiederholen der Behauptung, dass es mit Irans Wirtschaft bergab geht, macht die Wirtschaftsleistung der Islamischen Republik auch nicht schwächer.

Le Mec20-10-11

Ein Video, das verdeutlchen dürfte, wie selektiv unsere Medien über Syrien berichten. Schaut Euch diese gewaltige Pro-Assad Demonstration an, von denen kein einziges deutsches Leitmedium auch nur ein Wort verloren hat. http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=o7xSiWrEzis

Wären im Dorf "Ziegenhausen" an der Grenze zu Jordanien allerdings 20 Ziegenhirten auf die Straße gegangen, wäre das längst zu einer systemrelevanten Gefährdung der Assad-Diktatur heraufstlisiert worden.

Humanist31-10-11

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/iran-teheraner-krisen-11511453.html

für Menschen die auch eine andere realistischerer Meinung hören wollen





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