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31.05.2013 Prof. Dr. Djavad Salehi-Isfahani

Woraus setzt sich die Wählerschaft in Iran zusammen?


Wahllokal in Iran

Die zukünftigen Wahlen in Iran werden von Wirtschaftsfragen anstatt von sozialen Fragen dominiert.

Die Liste der für die iranischen Präsidentschaftswahlen im Juni angemeldeten Kandidaten - zumindest bis sie vom Wächterrat geprüft werden - bietet den iranischen Wählern eine angemessene Vielfalt an Gedankengut zur Auswahl.

Wie üblich ist es eine Mischung aus sozialen und wirtschaftlichen Fragen, die den Wählern am Herzen liegt, doch die Unterschiede zwischen den Kandidaten bezüglich ihrer Ansätze zur Lösung der wachsenden wirtschaftlichen Probleme des Iran sind am wichtigsten. Populisten, allen voran Esfandiar Rahim Mashaie, ein enger Verbündeter Präsident Ahmadinejads, versprechen mehr Umverteilung. Pragmatiker und Reformer, angeführt von dem ehemaligen Präsidenten Hashemi Rafsanjani, plädieren für die Wiederbelebung des Wirtschaftswachstums. Schließlich gibt es noch eine Auswahl an Konservativen, angeführt von Politikern im Umfeld des religiösen Staatsoberhauptes, wie der frühere Außenminister Ali Akbar Velayati, Teherans Bürgermeister Mohammad Bagher Ghalibaf und Atom-Unterhändler Saeed Jalili, die einen Mittelweg zwischen Wachstum und Umverteilung anstreben.

Doch wer sind die Wähler, bei denen diese Anschauungen Anklang finden würde?

Seit der letzten Wahl im Jahr 2009 ist der Anteil der wahlberechtigten Bevölkerung (18 Jahre und älter) von 47 Mio. auf 55 Mio. gestiegen. (Altersstruktur und Beschäftigungszahlen sind Berechnungen von einer Stichprobe in der Größenordnung von 2% der Volkszählung aus dem Jahr 2011. Sie wurden von Irans Statistikzentrum zur Verfügung gestellt und so angepasst, dass sie die Altersstruktur im Jahr 2013 widerspiegeln.) Auch das Alter der Wähler hat sich geringfügig verändert: Der Medianwähler ist nun 38 Jahre alt, drei Jahre mehr als 2009. Ein Drittel aller Wähler entfällt auf Wähler unter 30 (nunmehr Jungwähler), gegenüber 37% im Jahr 2009. Demzufolge gibt es nicht mehr so zahlreiche Jungwähler wie 2009, als sie, als Folge der höchst umstrittenen Wahl, die Ahmadinejad eine zweite Amtszeit bescherte, auf die Straßen gingen und die erste schwere politische Krise der Islamischen Republik auslösten. Jedoch, verglichen mit 19% in den USA, sind Irans Jungwähler immer noch eine Kraft, mit der man rechnen muss.

Die Verschiebung hin zu erwachsenen Wählern (im Alter von 30-64), die 57% aller Wähler umfassen – verglichen mit 54% im Jahr 2009 – ist zwar gering, deutet aber auf die Richtung, in die sich die iranische Politik in Zukunft entwickeln könnte: weg von sozialen Fragen, die die Jugend betreffen, hin zu wirtschaftlichen Themen, die für die älteren Wähler von Bedeutung sind. Im Jahr 2009 wurden jüngere Wähler von Mir Hossein Mousavis Aussage während einer TV-Debatte aufgeheizt, als er versprach, die öffentliche Sittenpolizei abzuschaffen. Sie schienen weniger besorgt darüber, dass sein Wirtschaftsplan, wie er für sie Arbeitsplätze schaffen wollte, viel weniger konkret war.

Ältere Wähler befassen sich mehr mit wirtschaftlichen Fragen, da sie erwerbstätig und die Ernährer ihrer Familien sind. Die Jugend leidet unter der sehr hohen Arbeitslosigkeit, aber ihre Sorgen werden oft auf ihre Eltern abgewälzt. Erstaunliche 65% aller Jungwähler leben bei ihren Eltern und sind daher teilweise von den härtesten Aspekten der kriselnden Wirtschaft Irans abgeschirmt. Ungefähr 77% der erwachsenen Männer sind erwerbstätig, im Vergleich zu 40% der Jungwähler (11% der erwachsenen Frauen sind berufstätig im Vergleich zu lediglich 6% der jungen Frauen).

Die soziale Schicht wird bei dieser Wahl eine größere Rolle als je zuvor spielen, zum Teil aufgrund der populistischen Politik der Regierung Ahmadinejads. Im Jahr 2011 lebte der Medianwähler in einer Familie, die pro Person und Tag ungefähr 11 Dollar ausgab. Nach internationalen Standards wird diese Person als der Mittelschicht zugehörig eingestuft. (Die Umrechnung in US-Dollar erfolgt mit einer Größenordnung von 6.500 Rial im Jahr 2011. Dies ist höher als die von der Weltbank geschätzten 5.854 Rial pro US-Dollar. Die Angaben zu Einnahmen und Ausgaben beziehen sich auf Umfragen zu Ausgaben und Einnahmen aus den Jahren 2009 und 2011, gesammelt von Irans Statistikzentrum.)

Arme Wähler (d. h. solche, die in Familien leben, die weniger als 3 Dollar pro Tag zur Verfügung haben) machten nur 2,1% der wahlberechtigten Bevölkerung aus. Doch die steigende Ungleichheit, vor allem an der Spitze, hat eine breitere Basis von verärgerten Wählern geschaffen, die sich von der Regierung mehr Umverteilung wünscht und nicht weniger. Und das trotz der Tatsache, dass viele in Iran nun der Meinung sind, dass eine Umverteilung im Stil von Ahmadinejad mehr Inflation verursacht und nicht ihr Los verbessert hat.

Seit Januar 2011 hat das größte populistische Programm Präsident Ahmadinejads – Bargeld statt Energiesubventionen – für nahezu jeden Iraner jeden Monat eine Geldeinzahlung auf die privaten Bankkonten bewirkt. Umfragen deuten darauf hin, dass der Tausch von billigem Treibstoff für Bargeld für Menschen mit weniger als dem mittleren Einkommen einen Nettogewinn gewesen ist. Die monatliche Zahlung ergab für eine vierköpfige Familie im Jahr 2011 eine Summe von 360 Dollar (umgerechnet in internationalen Dollar), was etwa 50% der monatlichen Ausgaben von Menschen aus den ärmsten 10% der Bevölkerung ausmacht (jetzt etwa halb so viel), 17% der Ausgaben der Mittelständischen, jedoch lediglich 5% der Ausgaben des reichsten Zehntels. Als Folge dieser und anderer Zahlungen fiel der Gini-Koeffizient der Einkommensverteilung um fast 5 Prozentpunkte auf 0,36 (meine Berechnungen basieren auf Erhebungen von Einnahmen und Ausgaben). Das ist der niedrigste Stand seit der Zeit nach der Revolution.

Eine Verbesserung der Verteilung von Einkommen ist nicht gleichbedeutend mit deren Erhöhung. In den vergangenen zwei Jahren hat Irans Wirtschaft sehr schlecht funktioniert, zum Teil aufgrund internationaler Sanktionen, jedoch auch zu einem großen Teil durch eine rohe Umverteilungspolitik, wie z. B. bedingungsloser Bargeldzahlungen, die selten gut für das Wirtschaftswachstum ist.

Selbst wenn Esfandiar Rahim Mashaei, der Kandidat, der Ahmadinejad am nächsten steht, bei der Wahl antreten darf, ist es ungewiss, ob er in der Lage sein wird, die Begünstigten der populistischen Politik der letzten acht Jahre für sich zu gewinnen, um bei den Wahlen gut abzuschneiden. Unklar ist auch, wie lange es sich seine Gegner aus dem reformistischen und konservativen Lager leisten können, die beliebte Forderungen nach Umverteilung zu ignorieren oder ob sie, sollten sie die Wahl gewinnen, in der Lage sein werden, die Umverteilungspolitik der gegenwärtigen Regierung rückgängig zu machen.


Prof. Dr. Djavad Salehi-Isfahani ist Wirtschaftsprofessor an der Technischen Universität Virgina und nichtansässiger leitender Wissenschaftler am Brookings Institution. Erstmals veröffentlicht bei Al-Monitor am 17. Mai 2013. Übersetzt von Jila Hamrah.


Stefan5831-05-13

Die Zeit schlägt also für die Islamische Republik. Ich hatte auch immer Bauchschmerzen, wenn ich diverse Iran-Korrespondenten hörte, wenn sie sagten, dass die Uhr gegen das Regime ticke, weil 50 Prozent der Menschen unter 30 Jahre alt seien. In Wirklichkeit hätten sie sagen müssen, dass die soziale Krise (wenn es eine gibt) nur vorübergehender Natur sei, weil alle diese jungen Leute morgen erwachsene Kerle sein würden - mit anderen Interessen und Neigungen und vor allem dann längst verheiratet sein würden.

Paul31-05-13

Thx for this thorough and factual analysis. Someting like this unfortunately cannot be found in western mainstream media.

Guy Fawkes01-06-13

Vielleicht sollte man der Vollständigkeit halber erwähnen, daß die einzigen beiden auch nur entfernt kontrovers erscheinenden Kandidaten Mashaie und Rafsandjani nicht zugelassen wurden. Vermutlich ist es dem Führer entfallen, daß er Rafsandjani seinen Arbeitsplatz verdankt.

SA04-06-13

@Guy Fawkes

Mashaei wurde nie von Khamenei kritisiert (und sogar oft verteidigt) und Rafsanjani wurde im letzten Jahr von Khamenei wieder zum Vorsitzenden des Schlichtungsrats ernannt.

Khamenei hat seinen Arbeitsplatz Khomeini zu verdanken und nicht Rafsanjani. Rafsanjani hatte im Gegenteil bei der Sitzung der Expertenversammlung vorgeschlagen, einen Rat von Führern zu ernennen. Andere Mitglieder waren es, die darauf aufmerksam gemacht haben, dass Khomeinis Wunschkandidat Khamenei sei. Als Rafsanjani Vorsitzender der Expertenversammlung wurde, veröffentlichte er nur die zusammenhangslosen Teile der Sitzung, wo suggeriert wird, dass er Khamenei vorgeschlagen habe, was allerdings so nicht richtig ist.

Reza04-06-13

@SA,
Sagen Sie mal bitte, haben Sie je in diesem Kontext irgendwo ein Tonband oder Schriftstück von Khomeini gehört oder gesehen? das von Ihnen gemachte Aussage “ dass Khomeinis Wunschkandidat Khamenei sei “ bestätigt.

Guy Fawkes05-06-13

Der Expertenrat hat also die beiden gegen den Willen Khameneis ausgeschlossen? Da der Expertenrat und nicht das iranische Volk entscheidet, wer geeignet ist zu regieren wären die Ausschlussgründe interessant gewesen.

SA10-06-13

@Reza

Nein, aber es gibt sehr viele Überlieferungen von der Familie Khomeinis und seine Mitstreiter - selbst die, die heute Reformer sind - die besagen, dass Khomeini auf die Frage, wer nach ihm seine Position einnehmen könne, immer wieder auf Khamenei verwiesen habe.

RA10-06-13

@Guy Fawkes

Nicht der Expertenrat filtert die Kandidaten, sondern das Verfassungsgericht. In Deutschland werden die Kandidaten von den Parteien gefiltert - ohne dass die Auschlussgründe genannt werden.

Dazu mehr hier: http://irananders.de/analysen/news-analysen/article/wie-demokratisch-ist-die-praesidentschaftswahl-in-iran.html





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