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09.03.2013 Shirin Shafaie

Irans Atomprogramm: Die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates widersprechen die UN-Charta


Iranische Delegation und die der IAEO

Links die Delegation der Islamischen Republik Iran, angeführt vom Außenminister Ali Akbar Salehi, und rechts die Delegation der IAEA, angeführt von ihrem Generaldirektor Yukiya Amano.

Es folgt ein exklusives Interview mit Peter Jenkins, dem ehemaligen ständigen Vertreter Großbritanniens bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien (von 2001-2006). Das Interview behandelt das iranische Atomprogramm und das Scheitern des Westens im Umgang mit ihm. Das Interview führte Shirin Shafaie.

Shirin Shafaie: In Ihrem jüngsten Vortrag im Chatham House und in einem aktuellen Artikel in der Tageszeitung „The Telegraph“ scheinen Sie eine andere Meinung als die offizielle westliche Politik hinsichtlich des iranischen Atomprogramms zu haben. Vertreten Sie die Ansicht, dass weder der Atomwaffensperrvertrag (NPT) noch das Statut der IAEA eine Suspendierung oder völlige Aufgabe der in diesen Verträgen erlaubten Urananreicherung durch Iran erfordern?

Peter Jenkins: Es ist definitiv meine Meinung, dass der NPT vom Iran nicht die Aussetzung seiner atomaren Anreicherung verlangt. Iran verdeckte 18 Jahre lang Teile seines Atomprogramms. Aber nach 2002 ist Iran - soweit ich es aus den Informationen, die ich während der Arbeit bei der IAEA sammeln konnte - bewerten kann, zur Erfüllung des Sicherungsmaßnahmen (Safeguards Agreement) im Rahmen des NPT zurückgekehrt. Entsprechend verfügt Iran über das Recht auf friedliche Nutzung der Atomenergie. Dennoch sind Irans Nachbarn, aufgrund der Jahre der Geheimhaltung vor 2003, verständlicherweise besorgt und hoffen, dass Iran über den NPT hinausgeht und sich freiwillig einigen zusätzlichen Maßnahmen zur Wiederherstellung des Vertrauens in die Absichten seines Atomprogramms beugt. So eine Maßnahme wäre beispielsweise das Zusatzprotokoll.

Eine weitere Maßnahme könnte eine dauerhafte Präsenz von IAEA-Inspektoren in empfindlichen Anlagen darstellen. Als Iran 2005 mit Großbritannien, Frankreich und Deutschland (EU3) Gespräche führte, schlugen die iranischen Verhandlungsführer vor, dass sie so etwas für die Anreicherungsanlage in Natanz anbieten würden.

2003 stimmten sie freiwillig der Anwendung des Zusatzprotokolls, als Teil des Teheraner Abkommens mit der EU3, zu. Das Problem dieser Vereinbarung war, dass sie viele Unklarheiten, wie zum Beispiel eine Menge diplomatisch formulierte Abmachungen, enthielt. Die EU3 wollte, dass das Abkommen dazu führt, dass Iran die Urananreicherung aufgibt. Als Iran letztlich diese europäische Absicht realisierte, stellte es die Befolgung der Abmachung ein, oder anders gesagt: Sie begannen erneut ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Anreicherung. Das gab den Europäern das Gefühl, bevollmächtigt worden zu seien, Irans Akte an den Sicherheitsrat zu überweisen.

Shirin Shafaie: Als Iran, wie Sie es ausgedrückt haben, aufgehört hat, das Zusatzprotokoll anzuwenden...

Peter Jenkins: Sie hörten mit der Umsetzung des "Teheraner Abkommens" auf. Das "Teheraner Abkommen" hatte zwei wichtige Elemente, von denen das eine das Zusatzprotokoll und das andere die Suspendierung der Urananreicherung war. Sie wandten also das Zusatzprotokoll weiter an, beendeten aber die Suspendierung der Anreicherung.

Shirin Shafaie: Und das ist der Grund, weshalb die Europäer Irans Akte an den Sicherheitsrat überwiesen haben?

Peter Jenkins: Die Europäer sagten sich: "Da Iran seinen Teil der Abmachung gebrochen hat, muss unsere Antwort die Anrufung des Sicherheitsrats sein." In Teheran hatten die Europäer zu Iran gesagt: "Wenn ihr das Zusatzprotokoll anwendet und die Anreicherung suspendiert, werden wir unseren Einfluss bei der IAEA geltend machen und sicherstellen, dass eure Akte nicht an den Sicherheitsrat weitergereicht wird." Das, was Iran zu der Zeit falsch gemacht hatte, nämlich dass das Land verpasst hatte, bestimmte Dinge an die IAEA zu berichten – also ihre „Nicht-Einhaltung“ ("non-compliance") -, hätte an den Sicherheitsrat weitergegeben werden müssen. Aber Europa hütete sich davor, weil einige von uns die Befürchtung hatten, dass im Falle einer Übertragung an den Sicherheitsrat im Jahr 2003, die USA kontraproduktiv gehandelt hätten. Im Gegenzug wollten wir jedoch das Zusatzprotokoll und die Aussetzung der Urananreicherung. Also dachten wir uns, als Iran die Suspendierung der Anreicherung beendete: "Okay, ihr habt die Abmachung verletzt, wir brechen jetzt unseren Teil der Abmachung und geben die Akte an den Sicherheitsrat weiter." Wir taten das aber nicht einfach, um gemein zu sein, oder um Iran zu bestrafen. Wir wollten, dass der Sicherheitsrat, welcher über das legale Recht verfügt, den Staaten Verpflichtungen aufzuzwingen, die Aussetzung der Urananreicherung von Iran verlangt, so dass Iran die Chance genommen wird, sich die Anreicherungstechnologie anzueignen.

Und dann kam die Gegenreaktion von Iran, die wie folgt aussah: "Jetzt wo ihr die Sache an den Sicherheitsrat gegeben habt, werden wir das Zusatzprotokoll nicht mehr anwenden." Das ganze "Teheraner Abkommen", welches ein gutes Abkommen war, war damit erledigt.

Shirin Shafaie: War das also das erste Mal gewesen, dass von Iran die Suspendierung der Urananreicherung verlangt wurde? Warum fingen die Europäer überhaupt erst damit an, eine außervertragliche Forderung an Iran zu stellen? Und warum wollten sie sicherstellen, dass Iran letztendlich juristisch (das heißt über den Sicherheitsrat) an die Aufgabe seines Anreicherungsprogramms gebunden wird, von dem Sie eben sagten, dass Iran berechtigt sei, es zu haben? Liegt der Grund dafür letztlich darin, dass die Europäer nicht wollten, dass Iran überhaupt ein eigenständiges friedliches Atomprogramm hat? Bereuen Sie es, Irans Akte an den Sicherheitsrat übergeben zu haben, während Sie das Problem doch gemeinsam mit Ihren europäischen, iranischen und IAEA-Kollegen diplomatisch hätten lösen können?

Peter Jenkins: Der Westen wollte nicht, dass Iran die Fähigkeit zur Urananreicherung hat. Das ist der Grund, weshalb der Sicherheitsrat eine rechtlich bindende "Forderung" (tatsächlich die erste ihrer Art) aufgestellt hat. Der Sicherheitsrat ist befugt, die Vertragsrechte Irans oder jedes anderen Staates im Interesse der Friedenswahrung aufzuheben.

Ich bereue das nicht, weil ich zu dem Zeitpunkt geglaubt habe, dass Iran angesichts des Scheiterns der iranisch-europäischen Diplomatie den Besitz von Atomwaffen anstrebt. Ich betrachtete die Aussetzung als eine Möglichkeit, Iran von der Aneignung der Fähigkeit zur Urananreicherung abzuhalten, welche sie wiederum für den Bau dieser Waffen bräuchten. Heute sehe ich die Dinge anders, seit US-amerikanische und israelische Geheimdienstexperten berichteten, dass sie keine Beweise dafür hätten, dass die iranische Führung sich für den Bau von Atomwaffen entschieden hätte. Die westlichen Politiker sind aber, was ich bedaure, in ihrem Fahrwasser stecken geblieben - wie die Nadel eines Grammophons auf einer alten Aufnahme.

Shirin Shafaie: Zurück zu der Frage des Sicherheitsrats und des Kapitels VII der UN-Charta, welches der Sicherheitsrat verwendete, um Iran Sanktionen aufzuerlegen. Glauben Sie, dass diese Verwendung legal war?

Peter Jenkins: Nun, das ist ein interessanter Punkt.

Liest man aufmerksam Kapitel VII, dann findet sich in Artikel Nr. 39 das Gebot, dass die erste Sache, die der Sicherheitsrat tun sollte, wenn seine Aufmerksamkeit auf etwas gerichtet wird - so wie zum Beispiel seine Aufmerksamkeit 2006 auf die iranische Frage gelenkt wurde - festzustellen ist, ob die Angelegenheit eine Bedrohung für den Frieden darstellt. Ich weiß nicht, ob der Sicherheitsrat jemals darüber gesprochen hat, ob die Situation in Bezug auf Irans Atomprogramm eine Bedrohung der Sicherheit darstellt oder nicht, ich diente damals ja nicht in New York. Aber wenn sie darüber gesprochen haben, dann sind sie ganz eindeutig zu keinem Beschluss gekommen, weil keine der Resolutionen gegen Iran die Feststellung beinhaltet, dass Irans nukleare Aktivitäten eine Bedrohung für den Frieden sind. Liest man dagegen die Resolutionen des Sicherheitsrats gegen Nordkoreas Nukleardossier, findet man, dass sie alle feststellen, dass das, was Nordkorea getan hat, eine Bedrohung für den Frieden ist.

Angesichts des Fehlens der Feststellung, dass eine "Bedrohung für den Frieden" besteht, ist es fraglich, ob der Sicherheitsrat dazu ermächtigt war, bindende Maßnahmen unter Artikel 41 zu verhängen. Wenn man nämlich das Kapitel liest, dann zeigt sich, dass Artikel 39 erst zu Artikel 41 führt und wenn man gar nicht erst unter Artikel 39 tätig geworden ist, so ist es fraglich, ob man Handlungen unter Artikel 41 durchführen darf.

Shirin Shafaie: Glauben Sie vor dem Hintergrund dessen, was Sie gerade gesagt haben und im Lichte des Wortlauts der UN-Charta, dass die Sanktionen des Sicherheitsrats gegen Iran nun  legal waren? Wie hätte der Sicherheitsrat die Resolution 1696 gegen Iran (die zum ersten Mal eine Aussetzung von Urananreicherung forderte) denn hervorbringen sollen, ohne die UN-Charta zu ignorieren? Und wussten die Europäer nicht, dass so etwas passieren würde, wenn sie Irans Akte an den Sicherheitsrat überweisen? Wie sollen wir mit all diesen Widersprüchen umgehen?

Peter Jenkins: Nun, die EU-Länder brachten Irans Akte an den Sicherheitsrat, um die Suspendierung der Anreicherung obligatorisch zu machen. Sie glaubten, dass der Sicherheitsrat das mit den Befugnissen, die ihm unter Kapitel VII zusteht, machen könnte. Zu dem Zeitpunkt glaubten sie ja, dass Irans Anreicherungsprogramm eine Bedrohung für den Frieden darstelle. Ich weiß nicht, ob sie das immer noch so glauben. Wenn sie das tatsächlich tun, dann scheint es, dass sie nicht in der Lage gewesen sind, alle Mitglieder des Sicherheitsrats von dieser Sichtweise zu überzeugen.

Shirin Shafaie: Macht das die Resolutionen des Sicherheitsrats (und in der Folge die UN-Sanktionen) gegen Iran nicht illegal?

Peter Jenkins: Die Sicht der meisten britischen Rechtsexperten ist die, dass der Sicherheitsrat in letzter Instanz machen kann, was er will. Der Sicherheitsrat ist wie ein Parlament: Eine souveräne Institution. Und wenn sie sich dafür entscheidet, ihre eigenen Regeln zu brechen, dann kann sie das tun. So sagen das jene Rechtsexperten. Ich bin kein Rechtsexperte, und dementsprechend habe ich diese Resolutionen als "legal" zu akzeptieren. Ich fühle mich dennoch befugt zu sagen, dass ich mir aufgrund des Fehlens einer Feststellung unter Artikel 39, dass Irans nukleare Aktivitäten eine Bedrohung für den Frieden darstellen würden, die Frage stelle, ob die Verwendung von Kapitel VII zur Verhängung "internationaler Verpflichtungen" gegen Iran wirklich gerecht war. Andernfalls war sie eher das, was wir Briten „unsaubere Geschäftspraktiken“ ("sharp practice") nennen.

Shirin Shafaie: Ich verstehe. Wir haben ja sogar Staaten gesehen, die ständige Mitglieder des Sicherheitsrats sind und selbst den Sicherheitsrat umgangen haben, wie es etwa im Falle des Irak-Krieges geschehen ist. Sie fühlten sich 2003 ermächtigt, auch ohne eine Resolution des Sicherheitsrats eine Invasion im Irak durchzuführen, und so haben wir sehen können, dass der Sicherheitsrat....

Peter Jenkins: ...seine eigenen Regeln umgeht!

Shirin Shafaie: Es herrscht also ein hohes Maß an doppelten Standards und Heuchelei, die wir allgemein im Völkerrecht sehen. Warum sollten sich die Iraner verpflichtet fühlen, sich an diese Regeln zu halten?

Peter Jenkins: Sie fühlten sich eindeutig nicht dazu verpflichtet. Das zeigt sich daran, dass sie die Resolutionen des Sicherheitsrats ignoriert haben.

Shirin Shafaie: Richtig, aber sie erlaubten weiterhin IAEA-Inspektoren in ihrem Land. Erst Anfang des Jahres [am 29. Januar 2012] ging wieder eine Delegation von IAEA-Inspektoren in Iran. Ich würde Sie in diesem Kontext gerne etwas über Iran fragen. Die Delegation wurde von Herman Nakaerts und vier weiteren IAEA-Offiziellen angeführt. Herr Nakaerts war einer derjenigen, die den damaligen November-Bericht mitgeschrieben haben, nachdem sie die Anlagen in Natanz und Fordow und den Schwerwasserreaktor in Arak besucht und viele Stunden an Inspektionen in Iran durchgeführt hatten. Als er aber am Ende den Bericht schrieb, zeigte dieser eher die Linie der amerikanischen Politik und ihrer Vorwürfe gegen Iran. Er benutzte überalterte Informationen, die der IAEA von einem nicht öffentlich genannten Staat, nämlich von Israel, geliefert wurden.

Meine Frage ist also: Wie bewerten Sie die IAEA in Sachen Professionalität und Unparteilichkeit vor dem Hintergrund der Bedeutung, die Irans Atomfrage innehat und angesichts des dringenden Bedarfs nach vertrauensbildenden Maßnahmen, insbesondere seitens der IAEA?

Peter Jenkins: Ich glaube Sie sind ein wenig unfair gegenüber Herrn Nakaerts. Wenn man den November-Bericht liest, sagt dieser nicht, dass irgendetwas Falsches in Natanz oder Fordow geschehen sei. Und dort steht noch einmal, dass alles Nuklearmaterial, welches Iran gemeldet hat, dokumentiert wurde, was bedeutet, dass keine Abweichung („diversion“) stattgefunden hat.

Und erlauben Sie mir noch einen Unterpunkt auszuführen: Wir sprachen vorhin vom Zusatzprotokoll. Ich habe zwar Verständnis dafür, was der Majles [das iranische Parlament], 2006 beschlossen hat [das Ende der Anwendung des Zusatzprotokolls], während ich gleichzeitig aber sehr bedaure, dass er es getan hat. Hätte Iran nämlich weiterhin das Zusatzprotokoll angewandt, dann wäre es, so denke ich, sehr wahrscheinlich, dass die IAEA mittlerweile berichten müsste, dass es kein unangemeldetes atomares Material oder solche Aktivitäten in Iran gibt. Die IAEA kann solche Erkenntnisse nur erzielen, wenn das Zusatzprotokoll in Kraft ist, andernfalls hat sie nicht genug Zugang, um solche Feststellungen zu machen. Für Iran wäre diese Feststellung deshalb sehr wertvoll gewesen. Irans Feinden wäre die Behauptung, dass Iran darauf aus sei, Atomwaffen herzustellen, im Lichte der Erklärung der IAEA an die Welt, dass es keine atomaren Aktivitäten oder entsprechendes Material in Iran gibt, sehr viel schwerer gemacht worden.

Eine weitere Sache von Bedeutung ist diejenige, um die all der Lärm momentan gemacht wird und um die es auch im Lärm in Bezug auf den November-Bericht ging: Gewisse Studien, die angeblich stattgefunden haben. Diese Studien sind keine "nukleare Aktivitäten" (“nuclear activities”) Irans, sondern "nuklearrelevante Aktivitäten" (“nuclear-related activities“) seitens der Iraner. Mit anderen Worten fallen Sie aus dem Anwendungsbereich der NPT-Sicherungsmaßnahmen heraus. Unsicherheiten in Bezug auf diese iranischen Studien hätten die IAEA nicht von der Feststellung abhalten dürfen, dass es keine unangemeldeten atomaren Aktivitäten in Iran gibt.

Shirin Shafaie: Aber hätte das den Sicherheitsrat und Deutschland zufriedengestellt? Oder hätten Sie dann immer noch die Suspendierung der Urananreicherung verlangt? Das ist doch eine Sache, die Iran weder akzeptieren kann noch akzeptieren wird (und muss).

Peter Jenkins: Vielleicht nicht. Ich sage nicht, dass es so wäre. Alles, was ich sage, ist, dass die Behauptung, dass Iran irgendwie den NPT verletze, dass es eine Bedrohung für alles und jeden darstelle, dass es ein atomares Wettrüsten im Nahen Osten vom Zaum breche und was auch immer Irans Feinde mal wieder gerne in den Topf werfen, schwieriger aufzustellen wäre, wenn es eine öffentliche Versicherung seitens der IAEA gäbe, dass es keine unangemeldeten atomaren Aktivitäten und kein solches Material in Iran gibt (im Gegensatz zu „nuklearrelevanten Aktivitäten"!).

Shirin Shafaie: Wenn wir bei diesem Thema sind, möchte ich auch die Frage der Weitergabe von IAEA-Informationen an Dritten ansprechen. Viele Iraner glauben, dass das der Hauptgrund für die Ermordung iranischer Wissenschaftler gewesen ist. Als das IAEA-Team im Januar in Iran ankam, hatte sich eine große Gruppe von Iranern und iranischen Studenten am Flughafen versammelt und Bilder des kürzlich ermordeten iranischen Wissenschaftlers Mostafa Ahmadi Roshan hochgehalten. Sie versuchten Druck auf die iranischen Offiziellen auszuüben, diese Angelegenheit an die IAEA-Inspektoren heranzutragen. Und während die iranischen Offiziellen versuchen, die Atmosphäre professionell zu gestalten, stehen sie unter großem Druck des Majles und der Studentenvereinigungen. So hatten beispielsweise vier Studentenvereinigungen einen Brief veröffentlicht, in dem sie ein Treffen mit der IAEA zur Klärung dieses Themas forderten.

Die Frage ist also: Welche vertrauensbildenden Maßnahmen hat die IAEA selbst von ihrer Seite erbracht? Und glauben Sie, dass diese Befürchtungen der iranischen Seite, dass die IAEA Informationen an Dritte weitergibt, stichhaltig oder vernünftig sind?

Peter Jenkins: Ich denke, es steht einem nicht zu, anzunehmen, dass die IAEA Informationen weitergibt. Man braucht Beweise, bevor man solche Anschuldigungen machen darf. Nach dem, was Sie mir erzählt haben, ziehen die Leute einfach Schlüsse. Sie sagen, dass diese Wissenschaftler der IAEA bekannt waren und dass sie ermordet wurden. Also hat die IAEA Informationen weitergegeben.

Shirin Shafaie: Aber ihre Namen tauchten in den IAEA-Berichten auf. Und es ist kein Geheimnis, dass Israel und die USA die IAEA mit „Geheimdienstmaterial“ versorgen. Viele vermuten, dass sie im Gegenzug Informationsmaterial von der IAEA geliefert bekommen. Tatsächlich ist einer der Gründe, weshalb Iran sich bei der Wiederanwendung des Zusatzprotokolls zögerlich zeigt, dass es Israel nicht mit detaillierten Informationen versorgen möchte, die es für einen Angriff auf Irans Atomanlagen benötigt.

Peter Jenkins: Ich verstehe. Aber möglicherweise waren sie ihnen bereits unabhängig von der IAEA bekannt. Ich meine, wir sollten nicht naiv sein. Bestimmte Länder haben ihre Geheimdienste auf das fokussiert, was in Iran passiert. Wir haben keine Sicherheit darüber, ob diese Länder nicht auch selbst in der Lage gewesen sind, herauszufinden, dass diese Wissenschaftler für das iranische Atomprogramm gearbeitet haben. Also denke ich, dass es besser ist, die IAEA aus dieser Sache herauszuhalten, weil die Rolle der IAEA sehr wichtig sein wird, wenn wir jemals friedlich aus diesem Konflikt herauskommen sollten. Wir werden den Westen nur dann davon überzeugen, die Urananreicherung in Iran zu akzeptieren, wenn es der IAEA erlaubt sein wird, Irans Atomprogramm zu überwachen, und dem Rest der Welt zu versichern, dass Iran seine NPT-Verpflichtungen nicht umgeht. Folglich ist es wenig hilfreich, die IAEA zu unterminieren oder Misstrauen gegen sie zu streuen.

Ich habe eine ehrliche Antwort gegeben. Sie besagte, dass ich den Attentaten nicht zustimme, Sie haben das sicher gemerkt. Tatsächlich nenne ich sie Mörder, ich nenne sie Mörder!

Shirin Shafaie: Natürlich, nur noch einen weiteren Punkt zu dieser Sache. Glauben Sie, dass die IAEA oder der UN-Sicherheitsrat zumindest verbal diese Akte [des Mordens und der Sabotage] hätte verurteilen sollen, allein schon um die öffentliche Meinung in Iran zu beeinflussen? Da wurde ja in der Form Druck auf die Politiker und Offiziellen ausgeübt, dass gesagt wurde, dass die IAEA zu dieser Sache schweigt.

Peter Jenkins: Ich glaube nicht, dass es der IAEA ansteht, derartiges zu äußern, weil es keine politische, sondern eine technische Organisation ist. Aber der UN-Sicherheitsrat hätte sich sicher dazu äußern können, wenn er gewollt hätte. Ich persönlich wäre froh gewesen, so etwas zu sehen. Vielleicht hätten sie gesagt, dass ein Mangel an Beweisen darüber herrscht, wer dahinter steckt. Aber man kann ja auch einen Mord verurteilen, ohne jemand bestimmtes zu beschuldigen. Man hätte sagen können, dass man zur Kenntnis genommen hat, dass dieser Mord stattgefunden hat und dass man ihn verurteilt.

Shirin Shafaie: Sie sagten, dass die IAEA keine politische Organisation sei. Aber wir lesen in Berichten von "The Guardian", die auf US-amerikanische Depeschen verweisen, dass sich Yukiya Amano „in jeder strategischen Schlüsselentscheidung fest auf der amerikanischen Seite“ befindet - inklusive Irans Atomprogramm. Was halten Sie davon? Und wie kann das den Status der IAEA als eine professionelle und unparteiische Organisation gefährden?

Peter Jenkins: Nun, ich denke, dass Diplomaten sich oft einbilden, dass Leute, mit denen sie gesprochen haben, ihrer Sichtweise wohlgesinnter sind, als sie es tatsächlich waren. Demgemäß ist die Tatsache, dass ein US-Diplomat berichtet hat, dass Herr Amano der amerikanischen Haltung wohlgesinnt sei, für mich kein angemessener Beweis dafür, dass er es tatsächlich ist. Ich kannte Herrn Amano, als ich noch im Dienst war. Ich arbeitete mit ihm, und ich habe niemals Anzeichen dafür gesehen, dass er irgendetwas anderes als ein loyaler Angestellter der japanischen Regierung gewesen ist. Also glaube ich, dass seine oberste Loyalität immer Japan gegolten hatte, und nun, da er Chef einer internationalen Organisation ist, vermute ich, dass seine oberste Loyalität dieser Organisation gilt.

Dennoch habe ich Fragen über den Bericht im Kopf, den die IAEA im November fertiggestellt hat. Ich glaube, dass es sehr schwer ist, sich ein Urteil über den Wahrheitsgehalt der darin befindlichen Untersuchungsergebnisse zu bilden, weil das IAEA-Sekretariat nicht ausreichend detailliert aufgezeigt hat, woher die verwendeten Informationen kommen. Und es ist dieses Ausbleiben der Aufklärung darüber, wo die Informationen herstammen, welches es dem objektiven und unparteiischen Leser ein wenig schwer macht. Man kann sich ja vorstellen, dass manche Staaten darauf aus sind, die IAEA für ihre eigenen Zwecke zu vereinnahmen.

Shirin Shafaie: Namentlich Israel. Würden Sie dem zustimmen?

Peter Jenkins: Ich war nicht umsonst 33 Jahre Diplomat. Also werde ich das jetzt nicht beantworten!

Shirin Shafaie: Eine Frage, die mich besonders interessiert: Der NPT hat eine Rücktrittsoption. Man kann drei Monate vorher Bescheid geben und dann aus dem NPT austreten.

Peter Jenkins: Ja, richtig.

Shirin Shafaie: Und Nordkorea hat diese Option tatsächlich genutzt. Ein Grund, weshalb Iran noch immer Mitglied des NPT ist, ist, dass es einigen Ländern, die mehr als nur bereit sind, Iran anzugreifen, nicht mit hinreichend Vorwänden versorgen will, zu sagen: „Schau, Iran ist aus dem NPT herausgetreten, also haben sie sicher ein Atomwaffenprogramm.“ Aber für den desaströsen Fall, dass es einen Angriff auf Iran gibt, vermuten viele, dass Iran sich dann vom NPT loslöst, weil es im Falle eines Angriffs keinen Grund mehr gäbe, ein Mitgliedsstaat zu bleiben. (Das gilt vor allem auch angesichts der Tatsache, dass Iran momentan von keinem der übrigen Merkmale des NPTs profitiert, wie etwa im Bereich der Kooperation oder des Wissensaustauschs im Bereich der friedlichen Nutzung der Atomenergie.)

Was glauben Sie, was Irans Rücktritt für den NPT als einen bedeutsamen Vertrag im Allgemeinen bedeuten würde? Glauben Sie, dass ein Angriff auf Iran zu einem Zusammenbruch des gesamten Konzepts des NPTs führen würde?

Peter Jenkins: Ich hoffe nicht. Ich glaube, dass Iran, vorausgesetzt er kann auf eine Bedrohung seiner obersten Interessen verweisen, dazu berechtigt ist, sich vom NPT zurückzuziehen. Und ich glaube, dass viele NPT-Unterzeichnerstaaten, wenn sie sehen, dass es eine glaubwürdige Bedrohung für Irans oberstes Interesse gibt, nicht unbedingt geschockt darüber wären. So gesehen würden Sie selbst nicht empfinden, dass der NPT wertlos ist. Ein wirklich ernsthafter Schlag gegen den NPT wäre es, wenn Iran sich aus ihm ohne eine wirkliche Bedrohung seiner obersten Interessen zurückzieht, so wie es Nordkorea ja getan hat. Es ist von niemandem eine Bedrohung für Nordkorea ausgegangen und erst Recht keine Bedrohung für Nordkoreas oberstes Interesse, als das Land zurücktrat. Das war also eine sehr zynische Ausnutzung der Rückzugsklausel seitens Nordkoreas. Ich hoffe, Iran wird nie so einen zynischen Gebrauch von der Rücktrittsklausel machen.

Shirin Shafaie: Ja, und hoffen wir auch, dass es keine Bedrohung für Irans oberstes Interesse gibt! Ich würde gerne einen weiteren Punkt ansprechen. Sie wissen, dass es ein religiöses Rechtsurteil (Fatwa) in Iran gegeben hat, welches die Herstellung, Lagerung und Nutzung von Atomwaffen und allen anderen Massenvernichtungswaffen seitens des iranischen Staatsoberhaupts Khamenei verbietet. Dies wurde 2005 öffentlich, als Sie noch bei der IAEA gedient haben. Diese Fatwa hat keine Rücktrittsoption. Natürlich ist diese Fatwa kein Teil des internationalen Rechts, aber sie ist ein einheimisches religiöses Urteil, das eine hohe Relevanz und rechtliche Bindung für die Iraner hat.

Also wie wurde diese Festlegung der obersten iranischen Führung bei der IAEA berücksichtigt? Und wieso wurde sie von der so genannten internationalen Gemeinschaft abgelehnt bzw. zurückgewiesen? Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass andere Äußerungen iranischer Offizieller niedrigeren Amtes in den Medien immer wieder verdreht, falsch übersetzt und aufgebauscht werden, um ein aggressives oder irrationales Bild von Iran zu karikieren.

Peter Jenkins: Sie kennen den Westen gut genug, um zu wissen, wie säkular er geworden ist. Uns fällt es schwer zu glauben, dass die Revolutionsgarden der Islamischen Republik sich durch eine religiöse Vorschrift wie der Fatwa abschrecken lassen. Ich habe erst dann angefangen, den Stellenwert der Fatwa zu verstehen, als mir ein iranischer Diplomat erklärte, dass die Revolutionsgarden nun, da das religiös-politische Staatsoberhaupt die Fatwa erlassen hat, seine Autorität untergraben würden, wenn sie beispielsweise die Fatwa ignorieren würden. Und nun verstehe ich, dass die Fatwa nicht nur eine religiöse, sondern tatsächlich auch eine politisch sehr direkte Relevanz hat. Im Westen verstehen das nicht ausreichend viele Leute.

Ihr letzter Kritikpunkt ist sehr angemessen. Einige im Westen überbetonen die Wichtigkeit der Aussagen, die ihre Behauptungen und Vorwürfe stützen und ignorieren Aussagen, die in eine unwillkommene oder ungelegene Richtung weisen. Ich habe nichts für diese Art von Unehrlichkeit übrig. Dennoch würde ich es den Westlern, wenn ich ein iranischer Verantwortungsträger wäre, schwerer machen, indem ich auf Aussagen verzichte, die potenziell als "aggressiv" oder "irrational" ausgelegt werden könnten. Ich würde wirklich versuchen, sie zu verwirren, indem ich eine Initiative ergreife, die die Medien der Welt nicht ignorieren können und die einen eindeutigen Hinweis darauf darstellen würde, dass Iran in Zukunft immer seinen NPT-Verpflichtungen treu bleiben wird.

Shirin Shafaie: Könnten Sie mir zum Schluss sagen, was Ihre Motivation ist, an der Debatte um Irans Atomprogramm teilzunehmen, nun da Sie ja nicht mehr für die IAEA arbeiten?

Peter Jenkins: Ich fürchte, dass die westliche falsche Handhabung des Problems zu einem Krieg führen könnte, der den Verlust vieler unschuldiger Menschenleben und eine nachteilige Auswirkung auf den globalen Lebensstandard einschließen würde. Ich bin eine viel zu unwichtige Person, um das zu verhindern. Aber zumindest würden einige wichtige Leute, wenn ich, aufbauend auf all dem Wissen und der Erfahrung, die ich während meines Dienstes als Diplomat sammeln durfte, meine Meinung sage, anfangen noch einmal darüber nachzudenken, ob die momentane westliche Politik denn so klug ist, wie sie es sein könnte.

Ich reagiere damit auch auf die Verdrehung der Wahrheit und die Gleichgültigkeit gegenüber der Vernunft, wie ich sie in einigen einflussreichen Zirkeln feststelle. Ich glaube, dass Wahrheit und Vernunft unserer Zivilisation zugrunde liegen und dass man (mataphorisch gesehen) dafür kämpfen sollte, wenn unsere Zivilisation denn überleben und gedeihen soll.

Shirin Shafaie: Herr Jenkins, vielen Dank dafür, dass Sie Ihre Sichtweise mit uns geteilt haben.

Mit besonderer Danksagung an Farid Marjai und CASMII.org für die Ermöglichung des Interviews.


Erstmalig veröffentlicht bei Fair Observer° am 22. Februar 2012. Übersetzt von Leo Schmitt.


Meryem09-03-13

Dankeschön, das ist ein wirklich interessantes Interview das mir einiges von der Entwicklung des "Atomkonflikts" verständlicher gemacht hat.

siglinde12-03-13

Guter Artikel.
Nur ist die Begründung etwas seltsam, dass der Westen die iranische Fatwa gegen Atombomben nicht ernst nimmt, da wir säkular wären, wenn der Westen doch andere Fatwen z.B. gegen bestimmte Personen sehr wohl ernst nimmt.
Vom Iran geht objektiv und auch subjektiv keine Bedrohung für den Weltfrieden aus und damit sind die Sanktionen völkerrechtswidrig.

Anonym12-03-13

Die Resolution ist nichtig, da jegliche Verhandlung mit dem Regime der Mullahfürsten ungültig ist. Der Westen sollte nur mit legitime Volksvertreter verhandeln. Der Westen könnte der iranischen Freiheitsbewegung durch politische Sanktion helfen. Es lebe der Frühling. Zende Bad Bahar

Völkerrechtler12-03-13

@Anonym

Die legitimen Volksvertreter Irans, sind die Führer der Islamischen Republikm ob es Ihnen passt oder nicht.

Des Weiteren haben Sie aber eine merkwürdige Auffassung vom Völkerrecht. Nach Ihrer Maxime müsste die komplette UNO illegitim sein, weil die meisten Staaten dort keinerlei freiheitlich-demokratische Legitimation genießen.





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