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Ägypten und Iran und die Herausforderung für den Westen


Irans Larijani und Ägyptens Mubarak

Erste Schritte der Annäherung - nach 29-jähriger diplomatischer Funkstille: Ende 2009 besuchte Irans Parlamentssprecher Dr. Ali Larijani zum ersten Mal den ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak. Seit den Unruhen in Ägypten rudert Iran indessen zurück und schlägt sich wie kein anderer Staat auf die Seite der ägyptischen Demonstranten.

In den letzten Tagen haben zwei regionale Sichtweisen auf die Ereignisse in Ägypten an Bedeutung gewonnen: Die iranische Betrachtung der ägyptischen Revolution und der Blick vom Nil in Richtung Teheran. Anlass ist vor allem eine fünfzehnminütige Rede des iranischen Staatsoberhaupts Ayatollah Ali Khamenei in arabischer Sprache zur Situation in Ägypten und die harschen Reaktionen des ägyptischen Außenministers.

Der ägyptische Zeitgeist: Nostalgie, Sehnsucht, Wut

In der an die arabische Welt gerichteten Ansprache des Ayatollahs fällt ein Aspekt auf, der von einer besonderen Interpretation des arabischen Zeitgeists im Hinblick auf die Öffentlichkeit in den arabischen Ländern und insbesondere die Demonstrationen in Ägypten zeugt. Während die meisten westlichen Kommentatoren vom ägyptischen Kampf um Demokratie und von freien Wahlen sprechen, nahm das iranische Staatsoberhaupt schon in den ersten Zeilen  auf den ägyptischen Kampf um „Würde und Respekt“ Bezug und bezeichnete dabei Mubaraks „Degradierung Ägyptens“ zu einer „hilflosen und minderwertigen Figur auf dem regionalen politischen Schachbrett“ als das größtes Verbrechen des Regimes. Was wie reine Propaganda klingt, hat für den durchschnittlichen Ägypter vermutlich eine schwerwiegende Bedeutung.

Heute, im Jahr 2011 haben viele im Westen die Bedeutung der Führungsrolle, die Ägypten unter Gamal Abdel Nasser in der arabischen Welt innehatte, vergessen. Nur wenige hierzulande erinnern sich scheinbar an die Hoffnung, die die ganze arabische Welt - vom Persischen Golf bis zum Atlantik - in Nassers Ägypten gesetzt hatte. In Ägypten und in der restlichen arabischen Welt aber denkt man bisweilen noch immer mit trauriger Nostalgie an diese Jahre der Hoffnung. Vom einst großen und mächtigen Ägypten, das es  gemeinsam mit Nehrus Indien und Titos Jugoslawien sogar an die Spitze der Blockfreien Bewegung und zum unangefochtenem Führer der Araber gebracht hatte, war in den Augen vieler der heute demonstrierenden Araber bis vor kurzem kürzlich nicht mehr viel übrig geblieben. Das iranische Staatsoberhaupt hat es in seiner Ansprache verstanden, dieses Selbstverständnis Ägyptens anzusprechen.

Des Ayatollahs kluger Schachzug

Der iranische Ayatollah räumte ein, dass jeder Aufstand zweifelsfrei einzigartig sei und gänzlich abhängig von den jeweiligen regionalen, historischen, politischen und kulturellen Umständen ist. Die Erwartung, dass die Islamische Revolution in Iran im Jahr 1979 auf Ägypten oder auf irgendeinen anderen Staat anzuwenden ist, bezeichnete er deshalb als verfehlt. Allerdings soll Ägypten seine „Flagge der Vorherbestimmung“ bis zum Gipfel weiter tragen, damit es „sein Haupt in den Himmel emporheben“ kann. Ebenfalls beschwor er die großen Identifikationsfiguren der modernen ägyptischen Geschichte, wie Ahmed Shawqi, Hassan al-Banna und nicht zuletzt Gamal Abdel Nasser als herausragende Persönlichkeiten des „großen Ägypten“ herauf.

Man könnte meinen, dass Khamenei den Nerv der arabischen Straße getroffen hat. Es dürfte keinen Kenner Ägyptens oder der arabischen Welt wundern, dass diese Worte bei den Demonstranten eher  offene Ohren finden als die Aufrufe westlicher Staatsoberhäupter nach einem „Wandel“ - ohne aber quasi drei Sätze später eine Danksagung für die jahrzehntelange Partnerschaft, die Mubarak im Gegenzug für die militärische, geheimdienstliche und finanzielle Hilfe der USA dargeboten hat, auszusprechen.

Kamal Helbawy, einer der dienstältesten Köpfe der ägyptischen Muslimbrüderschaft, äußerte im Interview mit der BBC bereits seinen Dank an Ali Khamenei für dessen Unterstützung der ägyptischen Revolution. Dabei entgeht nicht, dass er von „Imam Khamenei“ spricht, eine Ehrbezeichnung, die selbst in Iran nicht gängig ist und die bisher nur dem verstorbenen Ayatollah Khomeini unangefochten gebührte. Helbawy drückt seine Hoffnung aus, dass Ägypten eine gute Regierung - so wie Iran - und einen guten Präsidenten - so wie Iran - haben werde. Mit Blick auf die iranischen Fortschritte in Wissenschaft und Technik wünsche er sich für Ägypten, dass das Land „wie Iran, mehr technologische und wissenschaftliche“ Fortschritte erziele und ebenso eine Regionalmacht werde.

Die entscheidende Variable: Das ägyptische Volk und seine Muslime

Spätestens hier drängt sich die Frage auf, ob Ägypten eine ähnliche politische Entwicklung wie Iran durchlaufen wird. Wie die Ägypter zu einer islam-orientierten Politik stehen, wird aus den Umfragen des Washingtoner Meinungsforschungsinstituts „Pew Research Center“ deutlich:

Zwar sieht eine Mehrheit der Ägypter laut den Umfragen in der Demokratie die beste Staatsform. Weitere Befragungen desselben Instituts führen dem interessierten Leser im Westen aber deutlich vor Augen, dass die Ägypter unter Demokratie etwas anderes verstehen als  in Europa. Eine deutliche Mehrheit der ägyptischen Muslime würde beispielsweise auch die Einführung der Scharia in Ägypten begrüßen. 77 Prozent der Befragten würden in der 2010 durchgeführten Studie Peitschenhiebe oder das Abhacken der Hand (für Vergehen wie Diebstahl oder Raub) befürworten. Über 80 Prozent der Befragten ägyptischen Muslime würden die Steinigung von Ehebrechern unterstützen. Die Todesstrafe für Apostasie würden sogar ganze 86 Prozent befürworten.

Beim Durchforsten der aktuellen Analysen deutscher Tageszeitungen und Magazine werden allerdings den islamisch-politischen Organisationen keine Mehrheit im Falle demokratischer Wahlen zugetraut. Es wird jedoch nicht klar, woraus sich dieser Optimismus nährt, zumal die größten Demonstrationen stets nach dem islamischen Freitagsgebet stattfinden. Rein logistisch wären außer den muslimischen Gruppen derzeit keine anderen oppositionellen Parteien in der Lage, einen Wahlkampf in Ägypten durchzuführen.

Die Herausforderung für den Westen

Für den Westen ergeben sich faktisch zwei Handlungsmöglichkeiten. Unterstützt man die Revolution - auch durch einfache Zurückhaltung und Neutralität -, besteht die Gefahr, dass durch die neu gewonnene Selbstbestimmung der Ägypter, die Ausübung westlicher Interessen gefährdet wird. Dazu muss es nicht einmal einen Wahlsieg der religiösen Parteien bedürfen.

Die andere Möglichkeit besteht darin, die Revolution aktiv zu verhindern, was unweigerlich zu einer Radikalisierung der derzeit friedlichen so genannten „Facebook-Generation“ führt. In Anbetracht der gemeinsamen Grenze zu Israel (und der dortigen Politik hinsichtlich des jetzigen Krise in Ägypten) ist es nicht auszumalen, wohin sich der Wut und die Frustration schlagen würde. Eine echte und dauerhafte Befriedung ist durch diese Alternative nicht gewährleistet und würde auch den weltweiten Kampf gegen den Terrorismus torpedieren.

Entscheidet man sich für die erste Option, so ist dagegen im weiteren Verlauf eine Entradikalisierung der religiösen Parteien möglich und mittelfristig – ähnlich wie im Irak und im Libanon – die demokratische Machtergreifung pro-westlicher Kräfte. Dass selbst das iranische Staatsoberhaupt Ayatollah Khamenei einen Gottesstaat in Ägypten für unmöglich hält, müsste uns im Westen zum Denken geben.


Bernd das Brot09-02-11

Danke für die aufschlussreichen Informationen. Schade, dass man in unserer Medienöffentlichkeit die falsche Alternative zwischen Facebook-Demokratie (ohne Antivirenprogramm) und Islamismus (als Schreckgespenst) auftut, und damit die Chance vergibt, es in Zukunft besser zu machen. Es fehlt an Logik: Muss man doch zwischen demokratischem Prinzip und kulturell-technischer Ausprägung der Demokratie als Staatsform unterscheiden. Wer die Freiheit der Menschen ehrt, muss den Menschen schon selbst überlassen, wie sie ihren Staat gestalten wollen. Unter Freien kann es auch Frieden geben - auch wenn es dann mit den Waffenverkäufen nicht mehr so gut läuft. Überall zu lesen auch die verlogene Frage: "Haben wir uns nicht genug eingemischt, ist das unser Fehler" - haha, als ob der Diktator nur einen Tag ohne westliche Einmischung überlebt hätte. Der Welt wäre schon geholfen, wenn einige Akteure ihre hässlichen Hände bei sich behalten könnten.
Leider sind einige Ohren, Hirne und Herzen durch eine mediale Schwachsinnbeschallung im Gleichklang schon so verstopft, dass ein Appell zum Nachdenken wenig fruchten kann. Mein Tipp an alle Betroffenen, die zufällig gerade mitlesen: Verzichten Sie ein Jahr auf jeglichen Konsum der Staats- und Konzernmedien. Versuchen Sie es, danach sprechen wir uns wieder

Homayoun H.09-02-11

Gibt es irgendwo Zahlen darüber wieviele Ägypter z.B. die Rede Khameneis gesehen haben? Press TV Einschaltquoten und ähnliches? Mich interessiert wirklich in wie weit die Ägypter momentan die Reaktionen aus dem Ausland überhaupt verfolgen und welche Stimme eher zu Ihnen durchdringt, was sie jeweils zu den "Interpretationen" der Ausländer (Westen, Iran, USA, usw.) zu sagen haben.

Wenn man die Menschen auf den Videos sieht, so weiss man wirklich nicht, was in deren Köpfen vorgeht. Das Einzige was ich persönlich mit Sicherheit sagen kann ist die Abneigung gegenüber Mubarak. Aber darüber hinaus...

AMin10-02-11

Iran hat ja nicht nur Press TV, sondern auch die zwei Sahar Kanäle, Alam News, Al Kawthar und ja Al Manar würde ich auch dazu rechnen. Al Jazeera hat bestimmt auch über die Rede Chameneis berichtet.

Homayoun H.10-02-11

In diesem Zusammenhang - vor allem weil die Worte "Würde und Respekt", "Degradierung", "Minderwertigkeit" usw. gefallen sind - ist mir eine mehrere Jahre alte Dokumentation von 3Sat eingefallen, die ich mir heute wieder angeschaut habe. Sie heisst: "Araber - Geschichte eines Feindbildes". Sie hat zwar nicht direkt mit den aktuellen Ereignissen zutun, aber indirekt sehr wohl. Es ist wohl tatsächlich ein Fehler bzw. sehr kurzsichtig, die aktuellen Ereignisse mit "Ruf nach Demokratie und freien Wahlen" zu erklären.

Dahinter steckt glaube ich viel mehr, vor allem eine lange Geschichte:

Sehr empfehlenswert (ich würde sie sogar als Pflichtdoku bezeichnen):

Teil1 - http://www.youtube.com/watch?v=hjrOvTJ6yYM

Teil2 - http://www.youtube.com/watch?v=lmitV2LZ1vM

Teil3 - http://www.youtube.com/watch?v=gj90UJWqXPc

Teil4 - http://www.youtube.com/watch?v=-5p9WO4iZ_g

Teil5 - http://www.youtube.com/watch?v=vApz_uEshj0

Rossini10-02-11

Khamenei unterliegt einer grotesken Fehleinschätzung, wenn er die klerikal-islamischen Bestrebungen der iranischen Geistlichkeit in seiner Rede als Vorbild für Ägypten preist. Solche Überlegungen spielen im gesamten Spektrum des ägyptischen Widerstands keine Rolle.

Steffen11-02-11

@Rossini

Wo steht das?

Ägypten ist nun mal ein Land mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung und diese wollen logischerweise islamische Werte in ihrer Staatspolitik sehen. Aber zeigleich sagte Khamenei, dass Ägypten nicht Iran wird, also kein Mullahstaat.

Le Mec11-02-11

Das ist nunmal das Problem, wenn man eine polarisiserte Weltsicht hat. Entweder alles ist gründ oder alles ist orange. Beim Thema Ägypten muss man aber genauso gut differenzieren wie beim Thema Iran

Anonymous12-02-11

Iran wird sich freuen. Mubarak ist weg. Wann? Am Jahrestag der Revolution Irans. Und wessen Hand steckt hinter der Revolution Irans und Ägyptens?

http://de.euronews.net/2011/02/09/der-wirbel-um-den-apokalyptischen-reiter---im-internet/

Imam Mahdi?

ProAhmadinejad14-02-11

Der ägyptische Aufstand ist in seinem Kerrn islamisch. Das es es nicht so sein soll, glaubt nur die Brainwashindustrie. Ägypten hat eine lange vom schiitischen Islam geprägte Vorgeschichte, man beachte nur die Fatimitische Dynastie und der ursprüngliche Name der größten sunnitischen Fakultät "Al Azhar" welche früher "Al Zahra" hiess.
Die Demonstranten riefen "Allah Ho Akbar" und beteten öffentlich effektiv gegen den Tyrannen Mubarak. Die Moscheen Ägyptens spielten bei der Vorbereitung der Revolution die zentrale Rolle überhaupt. Die USA, Israel und einige ander Weststaaten putzen jetzt in Kairo die Klinken bei den Sadattreuen und versuchen zu retten was zu retten ist. Allein Israel hat mindestens 10 Stützpunkte in Kairo eingerichtet von denen sie aus Unruhe und Widerstand gegen die Revolution umzusetzen zu versuchen. Die Westgeheimdienste, filtern die pro westlichen Kräfte heraus und versuchen jene an die Spitze der Volksbewegung zu setzen. Sämtliche "Protestleader" in Ägypten sind ausschliesslich Prowestlich und Säkular angehaucht und werden von BBC und Co auch solche vermarktet.
Der islamische Charackter aber läßt sich nicht verleumden.
Schon vor wenigen jahren beschwerten sich ägyptische Journalisten, warum Imam Khamenei stehts von Kritik gegen seine Person ausgenommen wurde, während sämtliche Herrscher des Nahen Ostens von der Presse Ägyptens auseinander genommen werden. Er geniest einen excellenten Ruf unter den Ägyptern, so das es ein stilles Abkommen darüber herscht, seien Eminenz nicht zu kritiseren.
Wohlwollend wurde ebenso aufgenommen, das er seine Ansprache in Arabisch gehalten hat und die Gemeinsamkeiten der islamischen Weltgemeinschaft betont hat.





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