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08.11.2010 Thomas Effe

Eine Zivilgesellschaft gibt es nur, wenn sie gegen das „Mullah-Regime“ ist?


Afghaninnen, Demonstration, Protest

Bild oben: Afghanen demonstrieren gegen die angebliche Hinrichtung von 3000 Landsleuten im Iran. Bild unten: Afghaninnen demonstrieren gegen die NATO-Kriegspolitik. (Archivphotos)

Kommentar zum Artikel „Afghanische Flüchtlinge im Iran - Der Bodensatz der Gesellschaft“, erschienen am 28.10.2010 auf „Qantara.de“.


Der Artikel beginnt mit einem Photo, auf dem wütende Demonstranten in einer emotional aufgeladenen Stimmung zu sehen sind und Parolen skandieren. Solche Bilder aus dem Orient sind allseits bekannt. Meistens richten sie sich gegen die westliche oder israelische Politik. Diesmal jedoch steht der Iran am Pranger. Und sogleich erkennen die Urheber des Artikels den „Beginn einer afghanischen Reformbewegung“. Weiter ist unter dem Photo zu lesen: „Die Bevölkerung in Kabul beginnt, sich gegen Ungerechtigkeiten zur Wehr zu setzen." Es scheint so, dass Reformbewegungen und Zivilgesellschaften vom Westen nur dann anerkannt werden, wenn es gegen den Teheraner Regime geht.

Das zweite Photo folgt demselben Denkmuster. Für afghanische Verhältnisse schlecht bekleidete Frauen werden mit dem Untertitel „Keine weibliche Zurückhaltung mehr: Afghanische Frauen protestieren gegen Misshandlungen und Tötungen afghanischer Flüchtlinge im Iran“ dargestellt. Es stellt sich die Frage, was mit „keine weibliche Zurückhaltung mehr“ suggeriert werden soll. Ist es eine Anspielung auf die „schlechte Bekleidung“ oder darauf, dass afghanische Frauen an Demonstrationen teilnehmen? Ersteres impliziert, dass jede „schlecht bekleidete“ Frau in Afghanistan eine bewusste politische Absage an das „Mullah-Regime“ erteilt, so als ob das Teheraner Diktat bis nach Kabul reichen würde und Afghaninnen dagegen mit einer bewussten freizügigeren Kleidung protestieren wollten. Letzteres bedeutet, dass man nur dann Frauen bei Demonstrationen als solche erkennt, wenn gegen den Iran demonstriert wird. Die zahlreichen afghanischen Demonstrantinnen, die gegen die westliche „Besatzung“ und die „Kollateralschäden“ demonstrieren, wurden jedenfalls bis dato nie im Zusammenhang von „ziviles Engagement“ verstanden.

Ein „sonderbarer Protest“, wie es im Artikel heißt, war die Demonstration in der Tat. Wie entstanden die Proteste nun wirklich? Wie ist die Zahl von 3000 hingerichteten Afghanen entstanden, obwohl Amnesty International, der selbst einräumt, gegenüber dem Iran besonders wachsam zu sein, lediglich eine Zahl von etwa 330 Hinrichtungen im gesamten letzten Jahr bestätigen kann? Es ist wohl kaum vorstellbar, dass im Iran 2700 Afghanen – unbemerkt von den Augen der Weltöffentlichkeit, die auf den Iran allerseits blickt – hingerichtet wurden.

Nach den Verlautbarungen einiger afghanischer Abgeordneten, die den Iran besucht haben, sind derzeit 3000 von 5630 afghanischen Häftlingen hauptsächlich wegen Drogenschmuggels von der Todesstrafe bedroht und nicht verurteilt (die iranische Regierung dementiert dies ebenfalls). Daraus machte aber ein Iran-kritischer Fernsehsender in Afghanistan die Zahl von 3000 Hingerichteten und rief gleichzeitig zu Demonstrationen gegen Teheran auf.

Ist das die „spontane Reaktion einer afghanischen Zivilbewegung“? Zu hoffen ist dies sicherlich nicht. Denn Zivilgesellschaft entsteht nur da, wo es mündige Bürger gibt, die zwischen der einfachsten Propaganda und den leicht zu ermittelnden Fakten differenzieren können, andernfalls benennt man sie in aller Regel als den Pöbel.

Im Artikel selbst wird anschließend auf klägliche Art und Weise versucht, den angeblich stattgefundenen 3000 Hinrichtungen einen Wahrheitsgehalt zu verleihen, in dem unmittelbar darauf hingewiesen wird, dass der Iran China in der Zahl der Hinrichtungen folgen würde.

Im Iran gibt es zweifellos Diskriminierungen von Afghanen, diese existieren jedoch nicht erst seit dem Amtsantritt Mahmud Ahmadinejads oder seit der Geburtsstunde der Islamischen Republik. Sie stehen auch nicht mit der Pahlavi-Dynastie im Zusammenhang. Die Diskriminierungen gegenüber den afghanischen Mitmenschen vollziehen sich in der Mitte der iranischen Gesellschaft und sind nicht systemimmanent. Die Flüchtlingsströme in Millionenhöhe aus Afghanistan in Folge des Einmarsches der Sowjets und des daraus resultierenden Bürgerkriegs verstärkten die Ressentiments. Die Afghanen stehen als billige Arbeitskräfte zur Verfügung und sie kommen - bedingt durch ihre wirtschaftlichen Verhältnisse - öfters mit Kriminalität in Berührung. Das sind Themen, die in Europa mit ihren eigenen relativ geringen Flüchtlingen, Immigranten und Unterschicht bekannt sind. Und vermutlich war die Meldung über 3000 hingerichtete Afghanen lediglich ein Ventil, um gegen die iranische Unterdrückung Luft zu machen. Es ist jedoch zu bedauern, dass auf „Qantara.de“, das sich dem Dialog verschrieben hat, ein Artikel erscheint, wo Falsches mit Wahrem vermischt wird und mit offensichtlich politischer Motivation eigenwillige Interpretationen vorgenommen werden.


Tim der Orientalist09-11-10

Ich traute meine Augen nicht als ich den Artikel auf Qantara las. Von Qantara bin ich an einen anderen Qualität gewöhnt.

iranopoly.wordpress.com09-11-10

das dieses thema von qantara noch so spät aufgenommen wird ist fragwürdig.

Benutzer09-11-10

Leider veröffentlicht Qantara.de ab und zu auch die Kommentare der Leser nicht, obwohl sie der AGB oder schieß mich tot vollends entspricht (also keine Links, keine Beleidigungen, kein Spam, keine Polemik usw.).

Homayoun H.22-11-10

Vielleicht sollte Qantara.de neben "Interviews" mit Angehörigen von armen afghanischen Drogenhändlern in diesem Zusammenhang auch mal erwähnen dass die Drogenproduktion von ca. 200 Tonnen pro Jahr unter Talibanherrschaft auf ca. 3400 Tonnen pro Jahr nach der US-Invasion gestiegen ist und Iran quasi mit Opium überflutet wird, als sei es Zucker. Iran hat Millarden Dollar und tausende Leben an der afghanischen Grenze in diesem Drogenkrieg verloren. Es ist mittlerweile so schlimm (und die US Beteiligung so offensichtlich), dass man dies fast als biologische Waffe gegen Iran ansieht:

http://english.farsnews.com/newstext.php?nn=8908301276

TE22-11-10

Währen der Zeit der Besetzung Kuwaits durch den Irak, hat das irakische Regime die Geheimdokumente des dortigen Geheimdienstministeriums beschlagnahmt. Einige Geheimdokumente handeln über den Drogenanbau in Afghanistan.

Unter anderem hat die USA mit Geldern aus Kuwait und andere Staaten der Region den Drogenanbau in Afghanistan angekurbelt mit dem artikulierten Ziel die iranische Gesellschaft mit Drogen zu überschwemmen.

Petersson22-11-10

@ Drogenanbau

Hmm, da werden ganz sicher keine BamS Soldaten ähm Journalisten hingeschickt um zu recherchieren und die Pressefreiheit zu verteidigen!

Nö, aber dazu haben die viel Zeit: http://www.daserste.de/weltspiegel/beitrag_dyn~uid,kf1ziv4qc1p0s70t~cm.asp

RA22-11-10

Vielen Dank für das Video.

Erinnert mich an eine Dokumentation über das iranische Passagierflugzeug IR655, das von der US-Marine abgeschossen wurde. In der Doku (es gibt übrigens zwei Versionen von dem selben Doku) wird bis zu letzter Minute so getan, als ob der Iran Schuld für den Abschluss war. Fast in der letzten Minute sozusagen wird begonnen einzugestehen, dass die US-Marine falsch gehandelt hat.

Ähnlich ist es bei dem Sendebeitrag von Martin Weiss. Erst ist das (koordinierte) Regime Schuld an allem und unterdrückt Umweltschutzmaßnahmen und ganz am Ende heißt es, der Staat hat beschlossen das Problem zu lösen. Dabei hätte so ein umpolitisches Problem sich dafür eignen können aufzuzeigen, in wie fern das Regime nicht koordiniert ist, und deshalb schon allein die Rede von "dem Regime" irreführend ist, und zum anderen hätte man Schwächen und Stärken des Systems - insbesondere der Sicherheitskräfte und woher sie resultieren - differenzierter zeigen können.

Afghane03-03-13

Qantara soll sich schämen für diesen Blödsinn. Der Sender wurde sogar weit vor Veröffentlichung dieses Artikels in Afghanistan verboten, weil er sektierischen Hass verbreitete. Der ganze Vorgang liegt ohnehin weit zurück, wieso hat Qantara überhaupt so viele Monate später darüber berichtet?!

http://www.payvand.com/news/10/jul/1247.html





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